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Gerhard Zwerenz
Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte

Sächsische Autobiographie in Fortsetzung | 15. Nachwort

Dies ist eine sächsische Autobiographie als Fragment in 99 Fragmenten. Schon 1813 wollten die Sachsen mit Napoleon Europa schaffen. Heute blicken wir staunend nach China. Die Philosophen nennen das coincidentia oppositorum, d.h. Einheit der Widersprüche. So läßt sich's fast heldenhaft in Fragmenten leben.

  15. Nachwort

Fritz Bauers unerwartete Rückkehr

  Irmtrud Wojak
Fritz Bauer 1903-1968
Eine Biographie
C.H. Beck, 2009
Als ich 1957 Leipzig verlassen musste blieb mein erstes Pseudonym Gert Gablenz bekanntlich inkognito an der Pleiße zurück, um die Geschichte in der sozialistischen Ebene zu beobachten. Als GZ stieß ich später zu meinem Glück mitten in Frankfurt am Main auf Fritz Bauer. Wer dieser Mann war, erklärt der tüchtige Saarländische Rundfunk in dieser Presse-Information:
Pressemitteilung vom 02.02.2010 | 16:39
Pressefach: Südwestrundfunk (SWR)
Koproduktion des Saarländischen Rundfunks läuft auf der BERLINALE 2010 – Dokumentation „Fritz Bauer – Tod auf Raten“ – Ein Film von Ilona Ziok

Ilona Zioks Dokumentation „Fritz Bauer – Tod auf Raten“, eine CV Films Produktion in Koproduktion mit dem Saarländischen Rundfunk, wird im Rahmen der Sektion „PANORAMA DOKUMENTE“ im offiziellen Programm der BERLINALE 2010 präsentiert. „Fritz Bauer – Tod auf Raten“ ist eine von nur insgesamt 14 Doku­mentationen, die auf diesem inter­national bedeutsamen Filmfestival im Programm gezeigt werden: Der Saar­ländische Rundfunk ist Ko­operations­part­ner dieser inter­nationalen Kino­produktion.
Zum Inhalt:
„Wir Emigranten hatten so unsere heiligen Irrtümer. Dass Deutschland in Trümmern liegt, hat auch sein Gutes, dachten wir. Da kommt der Schutt weg, dann bauen wir Städte der Zukunft. Hell, weit und menschenfreundlich.“ (Fritz Bauer)

Diese Sätze, die Fritz Bauer 1967 gegenüber dem Schrift­steller Gerhard Zwerenz äußerte, beschreiben den Enthusiasmus, mit dem der schwäbische Jurist das Nachkriegsdeutschland aus den Fängen der Nazidiktatur in ein demokratisches und humanes Staatswesen überführen wollte. Nicht nur die Politik, vor allem auch die Jurisprudenz sollte hierzu ihren Beitrag leisten.

Mit Fritz Bauers Namen verbinden sich die Überführung Eichmanns nach Israel, die Wiederherstellung der Ehre der Widerstandskämpfer des 20. Juli und die legendären Frankfurter Auschwitzprozesse. Bauer ahnte nicht, dass sich seine Vorhaben zu einer wahren Sisyphusarbeit entwickeln würden, zu einem Weg voller Behinderungen und Feindseligkeiten, der in einem viel zu frühen Tod endete, dessen genaue Umstände bis heute rätselhaft geblieben sind.

Ilona Zioks Film „Tod auf Raten“ erzählt von Bauers mutigem Kampf für Gerech­tigkeit. Mit Akribie hat die Regisseurin Archive durch­forscht und gewichtige Statements des hessischen General­staatsanwalts ausgegraben. Um sie herum montiert sie in Form eines filmischen Mosaiks beein­druckendes Archiv­material und die Aus­sagen von Bauers Zeitzeugen: Freunde, Verwandte und Mitstreiter. Dabei entsteht nicht nur die spannende Handlung einer einzig­artigen Biographie, sondern auch das ein­drucks­volle Porträt eines der bedeu­tendsten Juristen des 20. Jahr­hunderts. Ausge­suchte Werke klas­sischer und zeit­genös­sischer Kompo­nisten begleiten die Dokumentation.
Länge: 90 Minuten. Redaktion SR: Michael Meyer, Andrea Etspüler
SR Kommunikation
Saarländischer Rundfunk
Funkhaus Halberg – 66100 Saarbrücken
Internet: sr-online
Über Fritz Bauer schrieb ich immer wieder zu ganz verschiedenen Themen und Fragen. Als Beispiel hier eine Google-Seite:

In Sklavensprache und Revolte berichte ich über den Skandal, der auf Bauers Vortrag über Die Wurzeln faschis­tischen und national­sozia­listischen Handelns folgte: „Als der Landes­jugendring von Rheinland-Pfalz den Text drucken ließ und ihn an den höheren Schulen verteilen lassen wollte, schritt der damalige Kultus­minister ein und verbot es. Besonders ein Land­tags­abge­ordneter der CDU tat sich bei der Verteidigung des Verbots hervor: Es war – wie sich der Journalist Conrad Taler anläßlich des Kon­gresses erinnerte – Helmut Kohl, der Bauer rüde belehrt habe, es sei viel zu kurz her, um über den National­sozia­lismus ein abschlie­ßendes Urteil zu fällen. Das war im Herbst 1962 und der junge Abgeordnete sollte dann als Bundes­kanzler das Wort von der ›Gnade der späten Geburt‹ erfinden.
Die vom jungen Abgeordneten Kohl dem verfolgten jüdischen Antifaschisten Bauer zugemutete Belehrung manifestiert den verheerenden Geisteszustand eines zur Macht drängenden Politikers. Wer 1962 kein Urteil über den Nationalsozialismus zu fällen vermochte, hätte wohl besser weder Amt noch Mandat erhalten.“
Report aus dem Inneren der Stadt Fft./M
Gerhard Zwerenz
Bericht aus dem Landesinneren
S. Fischer (1972)
 
Die Gespräche mit Fritz Bauer erschie­nen zuerst in Horst Bingels Streit-Zeitschrift Heft VI – September 1968. Sie ist nur noch anti­quarisch zu erwerben. In Bericht aus dem Landes­inneren steht ein erweitertes Kapitel zu Fritz Bauer, aus dem ich in der Film-Dokumen­tation von Ilona Ziok zitiere. Weil das Buch nicht mehr auf dem Markt ist, hier die komplet­ten zweieinhalb Seiten:
Der seltsame Generalstaatsanwalt

Ihn nicht zu erwähnen, wäre Undankbarkeit. Er zählte zu den letzten liberalen Juden. Ein großer Mann. Ein guter Mensch und Ange­hö­riger jener aus­sterbenden Rasse von Denk – und Gefühlsfähigen. Er ist auf seinen hohen Posten gekommen wie die Jungfrau zum Kind; er war ein Segen. Manchmal, in der Stadt Frankfurt, traf man ganz unversehens auf ihn. Er war klein von Gestalt, gedrungen, in den letzten Jahren immer mehr umdüstert. Er war das einprägsame Gegenteil eines Staats­anwaltes – ein Menschenanwalt, freundlich, wenn man seiner Freund­lichkeit bedurfte, hilfsbereit, wenn man seiner Hilfs­bereitschaft bedurfte. Er war die gute Vergangen­heit der Stadt Frankfurt, ein Stück bester Tradition, und dabei ein Gezeichneter. Sein Tod blieb seltsam unklar.
Hier einige seiner letzten Äußerungen:
Die Wirkung der Kunst! Ich bin ein alter Mann, verstehen Sie? Unterschätzen Sie bloß nicht die Wirkung der Erziehung, des Vorbildes. Nehmen Sie diese ewigen Krimis im Fernsehen. Das ahmen welche nach! Schießen wird zum Leitbild! Bald wollen alle schießen! Was halten Sie von Goethe? Ich will Ihnen sagen, ich schätze Goethe sehr! Ich lese Goethe! Ich kann ihn seitenlang zitieren! Ich liebe Goethe! Statt dieser häßlichen Krimis sollte man lieber ein Goethestück im Fernsehen zeigen! Das wirkt zum Guten! Die Leute müssen was Gutes sehen! Man muß ihnen was Gutes zeigen! Dann ahmen sie auch das Gute nach!
Wie können Sie verlangen, daß wir uns opferten? Das sagen einem die Herren Kollegen glatt ins Gesicht, die während des Krieges Sonderrichter waren. Ich kann darauf nichts mehr antworten!
Moral? Lebensweisheiten? Ich hatte Glück mit meiner Mutter, sie war klug. Als Fünfjähriger fragte ich sie: Was ist das, Gott? Sie antwortete: Das kann ich dir nicht sagen. Aber ich weiß einen Satz, der dir vielleicht hilft: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu.
Haben Sie sich das genau überlegt – nach München zu ziehen? Und was machen Sie, wenn es dort Schwierigkeiten gibt mit den Gerichten? Wir müssen alles verbessern, alles, das ist keine Floskel. Ich meine wirklich alles. Fangen wir bei den Menschen an. Bei uns selber müssen wir anfangen. Also, das ist mitunter gar nicht so einfach. Wo verläuft die Grenze zwischen Selbstironie und Masochismus? Natürlich ist es besser, man tut sich selbst etwas weh als einem andern. Kein leichtes Geschäft – Selbstkontrolle. Kommen Sie doch nach Frankfurt; ich helfe Ihnen – solange ich noch da bin. Früher suchte man die Menschen zur Eigenverantwortung zu bringen mit der Verpflichtung: Du mußt wissen. was du tust! Heute gilt allgemein: Tu genau das, was die anderen tun! Das ist schlecht, das ist meistens schlecht!
Der Auschwitz-Prozeß, ja, ich bin der Mann mit dem Auschwitz- Prozeß. Wir müssen die Prozesse machen. Wir müssen. Nein, die Angeklagten sehen ihre Schuld nicht ein, die nicht. Ein Kollege, Anwalt und Verteidiger der Angeklagten im Auschwitz-Prozeß, ein CDU-Mann, gab Häftlingen die Bibel. Als er sie zurückerhielt, fand er darin alle Stellen angestrichen, wo Gott verspricht, seine Feinde auszurotten mit Feuer und Schwert, mit Feuer und Schwert. – Der Verteidiger legte sein Mandat nieder ...
Ich habe mich oft gefragt und frage mich immer öfter: Warum bin ich zurückgekommen nach Deutschland?
Ich war ein kleiner Junge, vielleicht sechs, da wurde mir auf der Straße nachgerufen: Jud! Deine Familie hat Jesus Christus umgebracht! - Verstehen Sie, weshalb ich gegen jede Kollektivschuld bin? –
Wir Emigranten hatten so unsere heiligen Irrtümer. Ich gab damals eine Emigrations-Zeitschrift heraus, zusammen mit Willy Brandt. Daß Deutschland in Trümmern lag, hat auch sein Gutes, dachten wIr. Da kommt der Schutt weg, dann bauen wir Städte der Zukunft. Hell, weit und menschenfreundlich. Bauhaus. Gropius. Mies van der Rohe. So dachten wir damals. Alles sollte ganz neu und großzügig werden. Dann kamen die anderen, die sagten: Aber die Kanalisationsanlagen unter den Trümmern sind doch noch heil! Na, und so wurden die deutschen Städte wieder aufgebaut. wie die Kanalisation es verlangte.
Das dritte Geschlecht ist ein juristisches Problem. Juristisch kennen wir nur zwei Geschlechter. Weibliche Personen, männliche Personen. Das dritte Geschlecht setzt uns matt. Die Juristen sind mit ihren Definitionen hinter der Wirklichkeit zurück. Das ist kein Problem erst von heute, das dritte Geschlecht gab's schon vor vielen tausend Jahren. Die Juristen nehmen es nur nicht wahr. Warum?
Was glauben Sie, kann aus diesem Land werden? Meinen Sie, es ist noch zu retten? Die Linken kommen immer mit ihren Utopien. Wenn die Städte aber aufgebaut worden sind, wie die Kanalisation es verlangte, was soll dann eine Utopie? Nehmen Sie die ersten Bonner Jahre! Keine Wehrmacht! Keine Politik der Stärke! Nun betrachten Sie mal die jetzige Politik und die Notstandsgesetze dazu! Legen Sie meinethalben ein Lineal an. Wohin zeigt es? Nach rechts! Was kann da in der Verlängerung herauskommen? Höchstens eine negative Utopie! Zum Glück sind wir alt. Wir werden das nicht mehr miterleben.“
Roman vom Leben vor dem Tod durch üble Nachrede und Hass
Gerhard Zwerenz
Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond
S. Fischer (1972)
 
Die Gespräche mit Fritz Bauer gingen in Struktur und Drama­turgie meines Frankfurt-Romans Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond (S. Fischer 1973) ein. Dazu zwei kurze Beispiele:
„Joachim sitzt dem Manne gegenüber. Zwischen ihnen steht ein massiger Eichen­tisch, auf dem Bücher mit vielen Lese­zeichen liegen. Es ist sehr freund­lich von Ihnen, mich gleich nach Ihrer Entlas­sung zu besuchen, sagt der alte Mann. Aber was kann ich noch für Sie tun? Ich bin zu alt für das alles. Ich möchte mich bedan­ken, sagt Joachim. Ich spürte in der Haft Ihre Hilfe. Die kleinen Erleich­terungen sinds, auf die es ankommt. Rechtlich stehen sie jedem zu, doch bekommt man sie schwer. Man braucht einen guten Freund, der Jude sein muß und General­staats­anwalt, dann kann man vielleicht tat­sächlich erhalten, was einem juristisch sowieso garan­tiert ist.
Ich bin müde, sagt der alte Mann langsam, schlep­pend. Jetzt sind Sie frei, ich kann nichts mehr für Sie tun. Joachim betrachtet den anderen auf­merksam. Die Gestalt ist klein und zusam­men­gesunken, das Gesicht aufgedunsen, die Augen blicken trüb, die Bewegungen der Hände sind fahrig und unsicher. Die buschigen Augen­brauen überwölben die tief­liegenden Augen, daß sie noch tiefer zu liegen scheinen. Ein grau­brauner Schleier färbt die Haut, auf der die Sehnen deutlich hervor­treten. Das Fleisch ist dabei, sich aus diesem Körper zurückzuziehen.
Was will ich noch, ich habe meinen Auschwitzprozeß über die Bühne gebracht, sagt der greise General­staats­anwalt. Ein altes Unrecht mußte gesühnt werden. Neues Unrecht ist nicht mein Ressort. Ich danke Ihnen trotzdem, sagt Joachim. Aber deswegen kommen Sie jetzt nicht zu mir, fragt der Alte.
Nein, gesteht Joachim.
Weshalb dann?
Vielleicht, weil ich noch einmal einen gerechten Juristen sehen wollte, sagt Joachim.
Der Alte richtet sich auf. Mein Lieber, du bist zu romantisch. Ich habe für diese romantische Todessehnsucht der Deutschen nie Verständnis aufbringen können. Mach keinen Unsinn, ja?
Er blickt auf den jungen Rechtsanwalt, von dem er vieles weiß und den Rest ahnt; er denkt an sich und seine Kindheit und Jugend zurück. Ihr armen Schweine, denkt der alte Jude, wir armen Schweine von lebenden Menschen, denkt er und dann daran, daß sie ihm, dem kleinen Jungen im ersten Schuljahr auf der Straße nachgerufen haben: Jud, Saujud, ihr habt den Jesus Christus umgebracht! Er lächelt, fast unmerklich und nur für sich selbst.“
Gegen Ende des Romans ist der General­staats­anwalt tot und es ergibt sich ein Gespräch darüber mit dem Frankfurter Ober­bürger­meister:
„Er, Abraham, wolle das jetzt nicht von der Hand weisen, denn es gehe ihm bei seinem Besuch um eine ganz andere, ungeheuer beun­ruhigende Sache, ein Vorkommnis ebenso politischer wie krimineller und sittlicher Art, es handle sich um den Tod des vormaligen General­staats­anwaltes Bauer, mit dem er, Abraham, nahezu befreundet gewesen sei und von dem er wisse, daß der Ober­bürger­meister mit ihm auch gut bekannt, wenn nicht ebenfalls befreundet gewesen sei. An dieser Stelle wartete Abraham den bejahenden Einwurf des OB ab und fuhr dann fort: Er, Abraham, glaube nicht, daß Bauer eines natür­lichen Todes gestorben sei, seiner Meinung nach habe man Bauer umgebracht. Abraham ließ sich weiter darüber aus, als er eigentlich beabsichtigte, aber er hatte die Gelegenheit und nutzte sie und redete sich alle seine Befürch­tungen und Ängste von der Seele.“
Frankfurter Rundschau: GZ-Leserbrief vom 25.11.93
Zoom per Klick
Winfried Schunk vom 14.12.93
 
Von der Histo­rikerin Irmtraud Wojak erschien 2009 die Biographie Fritz Bauer, was die Presse zu wür­digen wusste. Süddeutsche Zeitung (23.2.) Frankfurter Rundschau (26.2.) taz (14.3.) Neue Zürcher Zeitung (11.4.) Die Zeit (18.6.) FAZ (13.5). Verwundert wird gefragt, wie ein Mann mit dieser Wider­stands­vergan­gen­heit und seinen Verdiens­ten als Jurist so „in Verges­senheit“ geraten konnte. Ilona Zioks Film-Dokumen­tation, eben bei der Berlinale vorgestellt, vermag vielleicht Abhilfe zu schaffen, falls der jetzige Kultur­zustand es noch erlaubt. Google weist, wie zu sehen ist, auf eine große Anzahl Links hin, in denen ich über Fritz Bauer schrieb. Wer vergessen will, vergisst eben. Außerdem ist es weniger das Verdrängen und Vergessen als die unüber­wundene, gar unüberwind­bare Feind­schaft. Die FAZ am 13.5.2009 gab ausgerechnet, wo nicht genau gezielt Prof. Manfred Kittel das Wort, auf dass er Erika Steinbach und den Chor der „Pro-Erika-Leser­briefe“ im Blatt wissen­schaft­lich begleite. Kittel rüffelt denn auch nach den unab­dingbaren Höf­lich­keiten die Bio­graphin Wojak wegen mangeln­der Kritik an Bauers „kommunis­tischem Umgang“ und seiner „weit­reichenden Bereit­schaft … mit den von der Stasi gefütterten ›Justiz‹-Organen der DDR zusammen­zuarbeiten.“ Fazit: Kittel steht wie Helmut Kohl gegen Fritz Bauer und für Erika Steinbach. Im übrigen forscht der Professor in Regensburg über Ver­gangen­heits­bewältigung, die „Benes-Dekrete“ und die „Vertreibung der Ver­triebenen“. Da hat es ein links­intellek­tueller deutsch-jüdischer Jurist natürlich schwer, wenn er bei der Verfolgung Eichmanns samt Kameraden östliche Quellen nicht aus­schließen mochte. Dem Schwarz-Kittel ist der tätige Anti­faschist Bauer einfach zu anti­faschis­tisch gewesen. Überschrieben ist die Buch-Rezension mit Gegen die braune Flut. Im Text ist zu lesen, sie war gar nicht so braun, jedenfalls nicht die Ideologie von „Millionen“. So färbt eben die „politi­sche Perspektive das jewei­lige Urteil über Fritz Bauers Lebens­werk.“ Das ist Kittels ehren­werter Schluss-Satz. .
Auf die Idee, es könne im analy­tischen Rezen­sions­wesen eine von Politik unabhängige Objek­tivität geben, kommt der Kritiker nicht. Er wäre dann auch kein rechter deutscher Wissen­schaft­ler, dessen Geschäft es ist, die Gespenster der Vergangen­heit aufzutakeln und den Wider­stand in ironie­getarn­ter gemeiner Hinter­fotzig­keit zu verhöhnen. „Ich kann gar nicht soviel essen wie ich kotzen möchte.“ (Max Liebermann)
Im Roman Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond handelt das 20. Kapitel vom Tod Fritz Bauers. Auf Seite 317 heißt es:
„Von Kampfspuren in den Räumen des General­staats­anwalts wird nichts berichtet, sagte Abraham, in der Badewanne lag auch kein Kopfkissen, in der Badewanne lag die Leiche, schon fast schwarz, ja und es wird gemunkelt, am Hals sei eine Stran­gu­lations­furche zu sehen gewesen. Doch mit solchen Furchen hat man ja schon allerhand erleben müssen. Ist nicht ganz einfach, da etwas exakt nach­zu­weisen. Aber reichte die Wahr­schein­lichkeit wiederum aus, einen Mord völlig in die Bereiche des Un­denk­baren zu verweisen?“
Das ist ein Roman. In der realen Gegenwart ist der Kampf um Fritz Bauer noch längst nicht abgeschlossen. Mühsam abgetarnt durch kunst­honig­haltige Ironien werden alte Stel­lungen neu armiert. Die Vertreibung der 1933 Vertriebenen geht weiter. „Kunst ist im Gegensatz zu allem Staat­lichen letztlich anarchisch. Sie konkurriert mit dem staat­lichen Ord­nungs­prinzip … Staat will Verdrän­gung. Kunst will Verdrängtes befreien. Sie ist Bewusst­machung des Unbewussten, Ausspruch des sozial Unaus­gesprochenen.“ (Fritz Bauer, Aus dem Nachlass Streit Zeitschrift VII 1/ 69)
Ich stelle mir vor, unserem selt­samen General­staats­anwalt würde die heutige hoch­gelobte Plagiats­literatur ins Grab nach­gereicht, er lachte sich lebendig. Und das wäre gut so, denn einer wie er wird gebraucht.

Ein weiteres Nachwort ist für Montag, den 22.02.2010, geplant.

Fotos zur Lesung mit Gerhard Zwerenz aus der Sächsischen Autobiographie am 19.11.2009 im Haus des Buches, Leipzig   externer Link

Lesungs-Bericht bei Schattenblick  externer Link

Interview mit Ingrid und Gerhard Zwerenz bei Schattenblick  externer Link

Gerhard Zwerenz   15.02.2010   
Gerhard Zwerenz
Serie
  1. Wie kommt die Pleiße nach Leipzig?
  2. Wird Sachsen bald chinesisch?
  3. Blick zurück und nach vorn
  4. Die große Sachsen-Koalition
  5. Von Milbradt zu Ernst Jünger
  6. Ein Rat von Wolfgang Neuss und aus Amerika
  7. Reise nach dem verlorenen Ich
  8. Mit Rasputin auf das Fest der Sinne
  9. Van der Lubbe und die Folgen
  10. Unser Schulfreund Karl May
  11. Hannah Arendt und die Obersturmbannführer
  12. Die Westflucht ostwärts
  13. Der Sänger, der nicht mehr singt
  14. Ich kenne nur
    Karl May und Hegel
  15. Mein Leben als Prophet
  16. Frühe Liebe mit Trauerflor
  17. Der Schatten Leo Bauers
  18. Von Unselds Gegner zu Holtzbrincks Bodyguard
  19. Karl May Petrus Enzensberger Walter Janka
  20. Aus dem Notizbuch eines Ungläubigen
  21. Tanz in die zweifache Existenz
  22. General Hammersteins Schweigen
  23. Die Pleiße war mein Mississippi
  24. Im Osten verzwergt und verhunzt?
  25. Uwe Johnson geheimdienstlich
  26. Was fürchtete Uwe Johnson
  27. Frühling Zoo Buchmesse
  28. Die goldenen Leipziger Jahre
  29. Das Poeten-Projekt
  30. Der Sachsenschlag und die Folgen
  31. Blick zurück auf Wohlgesinnte
  32. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (I)
  33. Sächsische Totenfeier für Fassbinder (II)
  34. Brief mit Vorspann an Erich Loest
  35. Briefwechsel mit der Welt der Literatur
  36. Die offene Wunde der Welt der Literatur
  37. Leipzig – wir kommen
  38. Terror im Systemvergleich
  39. Rachegesang und Kafkas Prophetismus
  40. Die Nostalgie der 70er Jahre
  41. Pauliner Kirche und letzte Helden
  42. Das Kickers-Abenteuer
  43. Unser Feind, die Druckwelle
  44. Samisdat in postkulturellen Zeiten
  45. So trat ich meinen Liebesdienst an …
  46. Mein Ausstieg in den Himmel
  47. Schraubenzieher im Feuchtgebiet
  48. Der Fall Filip Müller
  49. Contra und pro Genossen
  50. Wie ich dem Politbüro die Todesstrafe verdarb
  51. Frankfurter Polzei-buchmesse 1968
  52. Die Kunst, weder Kain noch Abel zu sein
  53. Als Atheist in Fulda
  54. Parade der Wiedergänger
  55. Poetik – Ästhetik und des Kaisers Nacktarsch
  56. Zwischen Arthur Koestler und den Beatles
  57. Fragen an einen Totalitarismusforscher
  58. Meine fünf Lektionen
  59. Playmobilmachung von Harald Schmidt
  60. Freundliche Auskunft an Hauptpastor Goetze
  61. Denkfabrik am Pleißenstrand
  62. Rendezvous beim Kriegsjuristen
  63. Marx, Murx, Selbstmord (der Identität)
  64. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (I. Teil)
  65. Vom Aufsteiger zum Aussteiger? (II. Teil)
  66. Der Bunker ...
  67. Helmut auf allen Kanälen
  68. Leipzig anno 1956 und Berlin 2008
  69. Mit Konterrevolutionären und Trotzkisten auf dem Dritten Weg
  70. Die Sächsischen Freiheiten
  71. Zwischen Genossen und Werwölfen
  72. Zur Geschichte meiner Gedichte
  73. Poetenladen: 1 Gedicht aus 16 Gedichten
  74. Der Dritte Weg als Ausweg
  75. Unendliche Wende
  76. Drei Liebesgrüße für Marcel
  77. Wir lagen vor Monte Cassino
  78. Die zweifache Lust
  79. Hacks Haffner Ulbricht Tillich
  80. Mein Leben als Doppelagent
  81. Der Stolz, ein Ostdeutscher zu sein
  82. Vom Langen Marsch zum 3. Weg
  83. Die Differenz zwischen links und rechts
  84. Wo liegt Bad Gablenz?
  85. Quartier zwischen Helmut Schmidt und Walter Ulbricht
  86. Der 3. Weg eines Auslandssachsen
  87. Kriegsverrat, Friedensverrat und Friedenslethargie
  88. Am Anfang war das Gedicht
  89. Vom Buch ins Netz und zur Hölle?
  90. Epilog zum Welt-Ende oder DDR plus
  91. Im Hotel Folterhochschule
  92. Brief an Ernst Bloch im Himmel
  93. Kurze Erinnerung ans Bonner Glashaus
  94. Fritz Behrens und die trotzkistische Alternative
  95. 94/95 Doppelserie
  96. FAUST 3 – Franz Kafka vor Auerbachs Keller
  97. Rainer Werner Fassbinder ...
  98. Zähne zusammen­beißen ...
  99. Das Unvergessene im Blick
    1. Nachwort
Nachworte
  1. Nachwort
    siehe Folge 99
  2. Auf den Spuren des
    Günter Wallraff
  3. Online-Abenteuer mit Buch und Netz
  4. Rückschau und Vorschau aufs linke Leipzig
  5. Die Leipziger Denkschule
  6. Idylle mit Wutanfall
  7. Die digitalisierte Freiheit der Elite
  8. Der Krieg als Badekur?
  9. Wolfgang Neuss über Kurt Tucholsky
  10. Alter Sack antwortet jungem Sack
  11. Vor uns diverse Endkämpfe
  12. Verteidigung eines Gedichts gegen die Gladiatoren
  13. Parademarsch der Lemminge und Blochs Abwicklung
  14. Kampf der Deserteure
  15. Fritz Bauers unerwartete Rückkehr
  16. Der Trotz- und Hoffnungs-Pazifismus
  17. Als Fassbinder in die Oper gehen wollte
  18. Was zum Teufel sind Blochianer?
  19. Affentanz um die 11. Feuerbach-These
  20. Geschichten vom Geist als Stimmvieh
  21. Von Frankfurt übern Taunus ins Erzgebirge
  22. Trotz – Trotzalledem – Trotzki
  23. Der 3. Weg ist kein Mittelweg
  24. Matroschka –
    Die Mama in der Mama
  25. Goethe bei Anna Amalia und Herr Matussek im Krieg
  26. Der Aufgang des Abendlandes aus Auerbachs Keller
  27. Jan Robert Bloch –
    der Sohn, der aus der Kälte kam
  28. Das Buch, der Tod und der Widerspruch
  29. Pastor Gauck oder die Revanche für Stalingrad
  30. Bloch und Nietzsche werden gegauckt ...
  31. Hölle angebohrt. Teufel raus?
  32. Zwischen Heym + Gauck
  33. Von Marx über Bloch zu Prof. Dr. Holz
  34. Kafkas Welttheater in Auerbachs Keller
  35. Die Philosophenschlacht von Leipzig
  36. Dekonstruktion oder Das Ende der Ver­spä­tung ist das Ende
  37. Goethes Stuhl – ein Roman aus Saxanien
  38. Meine Weltbühne im poetenladen
  39. Von Blochs Trotz zu Sartres Ekel
  40. Die Internationale der Postmarxisten
  41. Dies hier war Deutschland
  42. Kopfsprünge von Land zu Land und Stadt zu Stadt
  43. Einiges Land oder wem die Rache gehört
  44. Schach statt Mühle oder Ernst Jünger spielen
  45. Macht ist ein Kriegszustand
  46. Dekonstruktion als Kriminalgeschichte I
  47. Damals, als ich als Boccaccio ging …
  48. Ein Traum von Aufklärung und Masturbation
  49. Auf der Suche nach der verschwundenen Republik
  50. Leipzig am Meer 2013
  51. Scheintote, Untote und Überlebende
  52. Die DDR musste nicht untergehen (1)
  53. Die DDR musste nicht untergehen (2)
  54. Ein Orden fürs Morden
  55. Welche Revolution darfs denn sein?
  56. Deutschland zwischen Apartheid und Nostalgie
  57. Nietzsche dekonstruierte Gott, Bloch den Genossen Stalin
  58. Ernst Jünger, der Feind und das Gelächter
  59. Von Renegaten, Trotzkisten und anderen Klassikern
  60. Die heimatlose Linke (I)
    Bloch-Oper für zwei u. mehr Stimmen
  61. Die heimatlose Linke (II)
    Ein Zwischenruf
  62. Die heimatlose Linke (III)
    Wer ist Opfer, wer Täter ...
  63. Die heimatlose Linke (IV)
    In der permanenten Revolte
  64. Wir gründen den Club der
    heimatlosen Linken
  65. Pekings große gegen Berlins kleine Mauer
  66. Links im Land der SS-Ober­sturm­bann­führer
  67. Zweifel an Horns Ende – SOKO Leipzig übernimmt?
  68. Leipzig. Kopfbahnhof
  69. Ordentlicher Dialog im Chaos
  70. Büchner und Nietzsche und wir
  71. Mit Brecht in Karthago ...
  72. Endspiel mit Luther & Biermann & Margot
  73. Die Suche nach dem anderen Marx
  74. Wer ermordete Luxemburg und Liebknecht und wer Trotzki?
  75. Vom Krieg unserer (eurer) Väter
  76. Wohin mit den späten Wellen der Nazi-Wahrheit?
  77. Der Feind ist in den Sachsengau eingedrungen
  78. Die Heldensöhne der Urkatastrophe
  79. Die Autobiographie zwischen
    Schein und Sein
  80. Auf der Suche nach der verlorenen Sprache
  81. Atlantis sendet online
  82. Zur Philosophie des Krieges
  83. Deutsche, wollt ihr ewig sterben?
  84. Der Prominentenstadl in der Krise
  85. Der Blick von unten nach oben
  86. Auf der Suche nach einer moralischen Existenz
  87. Vom Krieg gegen die Pazifisten
  88. Keine Lust aufs Rentnerdasein
  89. Von der Beschneidung bis zur
    begeh­baren Prostata
  90. Friede den Landesverrätern
    Augstein und Harich
  91. Klarstellung 1 – Der Konflikt um
    Marx und Bloch
  92. Bloch & die 56er-Opposition zwischen Philo­sophie und Verbrechen
  93. Der Kampf ums Buch
  94. Und trotzdem: Ex oriente lux
  95. Der Soldat: Held – Mörder – Heiliger – Deserteur?
  96. Der liebe Tod – Was können wir wissen?
  97. Lacht euren Herren ins Gesicht ...
  98. Die Blochianer kommen in Tanzschritten
  99. Von den Geheimlehren der Blochianer
Aufsatz