Dabei ist Alaa al-Aswani im Hauptberuf gar nicht Schriftsteller, sondern Zahnarzt. Als solcher hatte er seine erste eigene Praxis just in jenem großen Wohnhaus in der Kairoer Innenstadt, das er 2002 zum Schauplatz und Titelort seines Bestsellers machte. Und weil auch sein Vater, ein Jurist und Freizeitschriftsteller wie der Sohn, lange Zeit hier ein Büro unterhielt, darf man annehmen, dass dieses Gebäude praktisch schon von früh auf zu den Lokalitäten zählte, denen das besondere Augenmerk des 1957 Geborenen galt. Hier kannte er die Treppen, Gänge und Etagen. War vertraut mit den Verschlägen, in denen die Underdogs auf dem Dach ihre Existenz fristeten. Fantasierte sich hinter die Türen und mitten hinein in das Leben ägyptischer Männer und Frauen, die, unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten und Milieus entstammend, hier von gesellschaftlicher Anerkennung, Aufstieg und Erfolg träumten. Wie zum Beispiel Taha al-Schâsli. Als Sohn eines Türhüters hat er eigentlich in einer ständisch organisierten Welt wenig zu erwarten. Trotzdem steckt der intelligente junge Mann voller Ehrgeiz. Nichts weniger als ein von allen geachteter Polizeioffizier will er werden. Und auf die dazu nötige Prüfung ist er gut vorbereitet. Allein die scheitert, weil Taha weder die erforderliche Bestechungssumme, wie Begüterte sie zahlen, aufzubringen in der Lage ist, noch sein Herkommen verleugnen kann. Darüber geht seine Beziehung kaputt und, nachdem er die Bekanntschaft mit im Namen des Staates ausgeübter, sadistischer Folter gemacht hat, auch sein Vertrauen in die Reformierbarkeit der herrschenden Zustände. Er stirbt als fanatisierter Terrorist. Oder Abd Rabbuh, genannt Abduh. Sozial ein wenig höher angesiedelt als Taha, reicht es trotzdem nicht hinten und vorn für den Rekruten, der auf Kairos Straßen Wache schieben muss und nebenbei noch eine dreiköpfige Familie durchzubringen hat. Da trifft es sich gut, dass er ins Blickfeld des recht erfolgreichen Journalisten Hâtim Raschîd gerät. Schnell willigt er in ein homosexuelles Verhältnis zu dem gut gestellten Redakteur ein. Aber auf Dauer ist der Zwiespalt, in den er dadurch gerät, nicht zu ertragen. Schließlich – um ein letztes Beispiel aus dem Roman zu nehmen – Suâd Gâbir, die aus Not zur Mätresse eines unter merkwürdigen Umständen aufgestiegenen Neureichen wird, was ihr zunächst nicht zum Schaden gereicht. Aber dann will sie etwas mehr sein als nur die »zweite rechtmäßige Ehefrau« und wird brutal in ihre Schranken gewiesen. Als sie wider die getroffenen Abmachungen schwanger wird, versteht der wohlhabende Greis keinen Spaß mehr und lässt ihr das Kind mit Gewalt nehmen. Diese drei und noch eine Handvoll weiterer Figuren lässt Alaa al-Aswani im Jakubijân-Bau aufeinandertreffen. Nicht jeder ist mit jedem bekannt, oft verhindern Standesschranken, dass man sich näherkommt. Doch die Wege kreuzen sich dennoch, geschickt arrangiert von einem Autor, der nicht nur ein façettenreiches Porträt der modernen ägyptischen Gesellschaft abliefert, sondern zusätzlich - über die Biografien seiner Helden, die bis in die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg zurückreichen - auch die historische Tiefendimension des Heute auslotet. Al-Aswanis Haus in der Kairoer Sulimân- Und plötzlich meint man, auch das Unbegreiflichste, was heute aus der islamischen Welt auf uns zukommt, den blutigen Terror von unbedenklich ihr Leben Opfernden nämlich, besser zu verstehen. Bei al-Aswanis Helden resultiert er aus der Ausweglosigkeit, in die sie geraten, weil sie mehr wollen, als man ihnen zugesteht. Kann dem militärische Gewalt von außen abhelfen? Wohl kaum. Erst wenn die starre Ordnung, in die sie von Geburt an gepresst sind, weicht und sie die Chancen bekommen, die sie verdienen, werden die Ursachen des Fanatismus verschwinden.
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Dietmar Jacobsen
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