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Alaa al-Aswani
Der Jakubijân-Bau

Ein Haus in Kairo oder
Wieviele Schicksale passen unter ein Dach?

Alaa al-Aswani | Der Jakubijan-Bau
Alaa al-Aswani
Der Jakubijân-Bau
Lenos Verlag 2007
Dies ist kein Buch zum Film. Denn es war eher da und sorgte in der arabischen Welt schon für Aufsehen, bevor der 2005 auch auf der Berlinale gezeigte Streifen The Yacoubian Building von Regisseur Marwan Hamed auf seine Existenz aufmerksam machte. Nun ist der ägyptische Bestseller also auch im deutschen Sprachraum erhältlich, dank des Lenos Verlags zu Basel und seiner schönen Reihe mit arabischer Gegenwartsliteratur sowie natürlich der vorzüglich lesbaren Übersetzung Hartmut Fähndrichs, der dem Band zudem ein informatives und kenntnisreiches Nachwort spendierte. Und es sind diesem Roman – das sei auch gleich gesagt – viele Leser zu wünschen, weil er auf außerordentlich gekonnte Weise fesselt, unterhält und informiert.

Dabei ist Alaa al-Aswani im Hauptberuf gar nicht Schriftsteller, sondern Zahnarzt. Als solcher hatte er seine erste eigene Praxis just in jenem großen Wohnhaus in der Kairoer Innenstadt, das er 2002 zum Schauplatz und Titelort seines Bestsellers machte. Und weil auch sein Vater, ein Jurist und Freizeitschriftsteller wie der Sohn, lange Zeit hier ein Büro unterhielt, darf man annehmen, dass dieses Gebäude praktisch schon von früh auf zu den Lokalitäten zählte, denen das besondere Augenmerk des 1957 Geborenen galt. Hier kannte er die Treppen, Gänge und Etagen. War vertraut mit den Verschlägen, in denen die Underdogs auf dem Dach ihre Existenz fristeten. Fantasierte sich hinter die Türen und mitten hinein in das Leben ägyptischer Männer und Frauen, die, unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten und Milieus entstammend, hier von gesellschaftlicher Anerkennung, Aufstieg und Erfolg träumten.

Wie zum Beispiel Taha al-Schâsli. Als Sohn eines Türhüters hat er eigentlich in einer ständisch organisierten Welt wenig zu erwarten. Trotzdem steckt der intelligente junge Mann voller Ehrgeiz. Nichts weniger als ein von allen geachteter Polizeioffizier will er werden. Und auf die dazu nötige Prüfung ist er gut vorbereitet. Allein die scheitert, weil Taha weder die erforderliche Bestechungssumme, wie Begüterte sie zahlen, aufzubringen in der Lage ist, noch sein Herkommen verleugnen kann. Darüber geht seine Beziehung kaputt und, nachdem er die Bekanntschaft mit im Namen des Staates ausgeübter, sadistischer Folter gemacht hat, auch sein Vertrauen in die Reformierbarkeit der herrschenden Zustände. Er stirbt als fanatisierter Terrorist.

Oder Abd Rabbuh, genannt Abduh. Sozial ein wenig höher angesiedelt als Taha, reicht es trotzdem nicht hinten und vorn für den Rekruten, der auf Kairos Straßen Wache schieben muss und nebenbei noch eine dreiköpfige Familie durchzubringen hat. Da trifft es sich gut, dass er ins Blickfeld des recht erfolgreichen Journalisten Hâtim Raschîd gerät. Schnell willigt er in ein homosexuelles Verhältnis zu dem gut gestellten Redakteur ein. Aber auf Dauer ist der Zwiespalt, in den er dadurch gerät, nicht zu ertragen.

Schließlich – um ein letztes Beispiel aus dem Roman zu nehmen – Suâd Gâbir, die aus Not zur Mätresse eines unter merkwürdigen Umständen aufgestiegenen Neureichen wird, was ihr zunächst nicht zum Schaden gereicht. Aber dann will sie etwas mehr sein als nur die »zweite rechtmäßige Ehefrau« und wird brutal in ihre Schranken gewiesen. Als sie wider die getroffenen Abmachungen schwanger wird, versteht der wohlhabende Greis keinen Spaß mehr und lässt ihr das Kind mit Gewalt nehmen.

Diese drei und noch eine Handvoll weiterer Figuren lässt Alaa al-Aswani im Jakubijân-Bau aufeinandertreffen. Nicht jeder ist mit jedem bekannt, oft verhindern Standesschranken, dass man sich näherkommt. Doch die Wege kreuzen sich dennoch, geschickt arrangiert von einem Autor, der nicht nur ein façettenreiches Porträt der modernen ägyptischen Gesellschaft abliefert, sondern zusätzlich - über die Biografien seiner Helden, die bis in die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg zurückreichen - auch die historische Tiefendimension des Heute auslotet.

Al-Aswanis Haus in der Kairoer Sulimân-Pascha-Straße steht – ganz der Tradition realistischer Weltliteratur verpflichtet – für das moderne Ägypten. Indem der Leser die Schicksale seiner einzelnen Bewohner verfolgt, manchmal lächelnd, manchmal bewegt, manchmal aufgewühlt, beginnt er, vieles besser zu begreifen, was ihn, als kleiner Teil des Stroms der tausend täglich über ihn hinwegspülenden Nachrichten, nur oberflächlich und abstrakt berührt. Ein fremdes Land rückt ihm plötzlich näher, weil es Gesichter bekommt. Und in diesen Gesichtern spiegeln sich Leidenschaften und Begierden, die ihm so fremd nicht sind. Es geht um Liebe und Hass hinter den Türen dieses Hauses, um das Recht auf ein kleines bisschen Glück wie auch den Neid auf jene, die sich ihres zu erobern wussten.

Und plötzlich meint man, auch das Unbegreiflichste, was heute aus der islamischen Welt auf uns zukommt, den blutigen Terror von unbedenklich ihr Leben Opfernden nämlich, besser zu verstehen. Bei al-Aswanis Helden resultiert er aus der Ausweglosigkeit, in die sie geraten, weil sie mehr wollen, als man ihnen zugesteht. Kann dem militärische Gewalt von außen abhelfen? Wohl kaum. Erst wenn die starre Ordnung, in die sie von Geburt an gepresst sind, weicht und sie die Chancen bekommen, die sie verdienen, werden die Ursachen des Fanatismus verschwinden.
Alaa al-Aswani wurde 1957 in Wust al-Balad, einem Stadtteil Kairos, geboren. Dort besuchte er ein französisches Gymnasium. 1977 stirbt al-Aswanis Vater, der als Anwalt eine Kanzlei in dem später durch den gleichnamigen Roman seines Sohnes bekannt gewordenen Yacoubian Building hatte. Die Kanzlei in Kairos Geschäftsviertel wird später von Alaa al-Aswani, der in Ägypten und den USA Zahnmedizin studiert hat, zur Arztpraxis umgewandelt. Der Jakubijan-Bau ist al-Aswanis erstes Buch in deutscher Übersetzung.
Der Autor im Lenos Verlag
Chicago | Rezension im Poetenladen

Dietmar Jacobsen     15.03.2007    

Dietmar Jacobsen