|
|
Joseph Zoderer
Die Farben der Grausamkeit
Weggehen, ohne fortgehen zu wollen
Joseph Zoderers neuer Roman Die Farben der Grausamkeit erzählt eine Dreiecksgeschichte vor dem Hintergrund der politischen Wende in Europa
Kritik |
|
|
|
Joseph Zoderer
Die Farben der Grausamkeit
Roman
Innsbruck-Wien: Haymon Verlag 2011
335 Seiten, 19,90 Euro
ISBN 978-3-85218-684-9
|
Die Weltliteratur ist voller Dreiecksgeschichten. Sie kommen gut an, auch wenn sie meistens übel ausgehen. Man denke nur an Emma Bovary, Effi Briest oder Anna Karenina – keine der drei Damen hat auch nur den Hauch einer Chance, heil aus der Sache herauszukommen, in die man sich verstrickt hat. Dabei stellen diese traurig-schönen Exempel ja nur die Spitze eines Eisbergs von literarischem Liebesleid dar, einem Gefühl übrigens, von dem man anzunehmen geneigt ist, dass es sich in den Zeiten von Speed-Dating und Lebensabschnittspartnerschaften langsam erledigt haben sollte. Aber denkste! Männer und Frauen, die in der Zwickmühle zwischen Leidenschaft und Verstand Letzteren einzubüßen drohen und ganz ihrem Empfinden leben, gibt es nach wie vor genug – und das keineswegs nur in der hypothetischen Existenzform zwischen zwei Buchdeckeln.
Freuen wir uns also über einen Autor wie Joseph Zoderer (Jahrgang 1935), der uns in seinem aktuellen Werk wieder einmal eine solche Geschichte erzählt. Und zwar durchaus ernsthaft und mit einem Sinn für die Zeit, in der sie spielt. Richard heißt die Hauptfigur in Die Farben der Grausamkeit. Der Mann ist Rundfunkjournalist und für einen deutschsprachigen italienischen Sender unterwegs an den Brennpunkten des Weltgeschehens. Und weil die 80er Jahre eben zu Ende gehen, wenn der Roman einsetzt, kann es nicht ausbleiben, dass Zoderers Held zeitweise auch in Berlin Quartier bezieht, um den deutsch-deutschen Wiedervereinigungsprozess kommentierend zu begleiten.
Dass die politische Problematik auch ins Private der Figur zurückgespiegelt wird, merkt der Leser bald. Denn Richards Reisen quer durch ein sich eine neue Ordnung gebendes Europa sind nicht zuletzt Fluchten vor der Festgelegtheit der eigenen Existenz. Die sucht die Sicherheit in der Ehe mit der Architektin Selma und erliegt doch immer wieder den Verlockungen, die von der jungen Arbeitskollegin Ursula ausgehen. Mit dieser reist er durch die Welt und träumt den Traum vom Neubeginnen. Mit jener zieht er sich in die Einsamkeit eines Südtiroler Bergdorfs zurück, baut für die bald vier Köpfe zählende Familie ein trutziges Bauernhaus aus und kann trotzdem nicht verhindern, dass er sich fremd fühlt in diesem Heim von Anfang an und ihm der erste zu überstehende Winter mächtig zusetzt.
Zoderer hat für die Zerrissenheit seiner Figur eine streckenweise etwas antiquiert wirkende Sprache voller Bildkraft gefunden. Lässt man sich auf sie ein, hat sie dennoch ihr Berückendes. Aufgebrochen wird die in der dritten Person erzählte Geschichte eines Lebens zwischen Taumel und Kasteiung, Enge und Weite, Ehefrau und Geliebter durch poetische Einsprengsel, die wirken wie Tagebuchnotate der Hauptfigur, kurze, kursiv abgesetzte Passagen, in denen ein zwischen verschiedenen Lebensmöglichkeiten Hin- und Hergerissener sich um poetische Rechtfertigungen bemüht, letzten Endes aber doch nicht darüber hinwegzutäuschen vermag, dass das Doppelleben, welches er führt, alle verletzt, die mit ihm in Berührung kommen.
Ganz scheint mir die strukturelle Parallelführung von (gelingender) politischer und (letzten Endes scheiternder) privater Wende übrigens nicht zu funktionieren. Gerade die Passagen, die den Auslandskorrespondenten mit all jenen grundstürzenden Ereignissen der frühen 90er Jahre konfrontieren, aus denen bis heute ein neues Europa erwachsen ist, verblassen etwas hinter der Verve, mit der Joseph Zoderer seine Liebesgeschichte erzählt. Und deutlich ist zu merken, dass der Autor mehr bei sich ist, wenn er die Schönheit seiner Südtiroler Heimat schildern kann.
Richards Aufbruch jedenfalls endet mit seiner Rückkehr ins Vertraute. Vollkommen freiwillig findet er den Weg nach Hause nicht, doch am Ende beherrscht ihn wohl das Gefühl, die richtige Entscheidung zu treffen. Wenn auch ein bisschen Melancholie in den das Buch beschließenden Zeilen aufblitzt, in denen der Heimkehrende erfährt, dass er in Bälde der Vater einer Tochter sein wird.
|
|
|
|
|