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Peter Richter
Dresden revisited
Aus Liebe zu einer Ungeliebten
Peter Richter nimmt in Dresden revisited seine Leser mit in eine Stadt, die er vor einem Vierteljahrhundert verlassen, aber nie aus Augen und Sinn verloren hat
Kritik |
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Peter Richter
Dresden revisited
Von einer Heimat, die einen nicht fortlässt
Luchterhand Literaturverlag 2016
160 Seiten, 18,– €
ISBN 978-3-630-87525-5
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Dresden, die stolze Residenzstadt an der Elbe. Von Canaletto und Caspar David Friedrich gemalt. Von Erich Kästner, Heinz Czechowski, Durs Grünbein und Volker Braun bedichtet. Von Uwe Tellkamp und Ingo Schulze in jüngster Zeit zum Schauplatz großer Romane gemacht. Aber auch seit gut zwei Jahren die „umstrittenste Stadt im Lande“, wie Peter Richter, der 1973 dort geboren wurde, in seinem aktuellen Buch, Dresden revisited, schreibt.
Richter, der zur Zeit für die Süddeutsche Zeitung als New-York-Korrespondent jenseits des Atlantiks unterwegs ist, machte sein Abitur am Gymnasium der Kreuzschule. Danach zog es ihn zum Studium in den westlichen Teil des wiedervereinten Deutschlands. Blühende Landschaften (2004), sein erstes eigenständiges Buch, thematisierte seine Erfahrungen aus der Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts. Gleich auf der ersten Seite dieses sich im Untertitel Eine Heimatkunde nennenden Werks finden sich die Sätze: „Ich bin 1993 nach Hamburg gezogen. Und erst dort bin ich zu etwas geworden, von dem ich vorher gar nicht wusste, dass es das überhaupt gibt: zum Ostdeutschen.“ Vergangenheit und Gegenwart, Eigenes und Fremdes, Bleiben und Gehen durchziehen als thematische Stränge auch den Roman, mit dem Richter 2015 auf der Longlist des deutschen Buchpreises landete: 89/90.
Nun also wieder eine Art „Heimatkunde“, hervorgegangen aus einer Rede, die am 21. Februar 2016 im Rahmen der Reihe „Dresdner Reden“ am Schauspielhaus Dresden gehalten wurde. In den mehr als 20 Jahren, die diese Veranstaltungsreihe bereits existiert, waren u.a. Willi Brandt, Günter Grass und im letzten Jahr der Soziologe Heinz Bude Richters Vorgänger auf dem Podium. Zwei Jahre davor hatte Sibylle Lewitscharoff ihre heftig umstrittenen Gedanken zu künstlicher Befruchtung und Leihmutterschaft an gleicher Stelle geäußert.
In seinem Essay mit dem Untertitel Von einer Heimat, die einen nicht fortlässt, charakterisiert Richter den genius loci seiner Geburtsstadt als einen janusköpfigen. Die Erinnerung an E.T.A.Hoffmanns in Dresden spielendes Kunstmärchen „Der goldne Topf“ (erste Fassung 1814) kommt ihm dabei gerade recht. Sieht er doch im Hin und Her von dessen Hauptfigur – der Zerrissenheit des Studenten Anselmus – zwischen prosaischer Alltags- und romantisch überhöhter Phantasiewelt ein auch heute noch gültiges Abbild des „bipolare[n] Wesen[s]“ seiner Geburtsstadt. Auf der einen Seite der Stolz der meisten Dresdner auf ihre Stadt, die sich in die Landschaft des Elbtals hineinschmiegt wie ein Schmuckstück in seine Fassung. Auf der anderen Seite das weltweit Schlagzeilen machende PEGIDA-Dresden, hassverzerrte Gesichter vor Heimen für Asylbewerber und Plakate, die Politiker an den Galgen wünschen. Herzlichkeit hier, barsche Ablehnung da – Richter glaubt, in die Geschichte der Stadt zurückblickend, dass diese beiden Haltungen zu allen Zeiten präsent waren: „Es gibt eine Tradition der Engherzigkeit und eine Sehnsucht nach Harmonie, die beide auf Ortsfremde, wie ich gemerkt habe, extrem wirken können.“
Gerade dass die Stadt schon immer „eine einzige Kippkarte“ zu sein schien, Gefallsucht und Hysterie, Fleiß und Aggressivität, Streberhaftigkeit und Beleidigtsein ihr Antlitz in stetem Wechsel prägten und prägen, macht für Richter ihre aktuelle Außenwahrnehmung als „Stadt der notorisch rechten Deppen und verbiesterten Alten, der Loser aus der DDR“ problematisch. Entgegen hält er dieser einseitig verzerrenden Sicht seine Erinnerungen, die für ihn „immer auch eine Kritik am Jetztzustand“ darstellen. Und entwickelt daraus seine These, „dass fast alle Deutschen gegenwärtig in gewisser Weise Dresdner sind, ob sie wollen oder nicht. Und die, die nicht wollen, ganz besonders.“
Tom Hanks war es, wie sich der Autor erinnert, der anlässlich eines Interviews, das Richter mit ihm führte, die Frage aufbrachte, wie es denn gewesen sei, groß zu werden im „Valley of the Clueless“, dem „Tal der Ahnungslosen“. Und obwohl Richter sich auch zu jenen vielen zählt, die, in Dresden aufgewachsen, ihre Stadt später lieber aus der Fremde besangen – Kästner und Czechowski aus Leipzig, Mickel, Braun und Grünbein aus Berlin, Tellkamp aus München und Thomas Rosenlöcher „aus der Halbdistanz des Erzgebirges“ –, ist sein Bekenntnis zu der Stadt seiner Kindheit und Jugend eindeutig: „Niemand kann etwas dafür, wo er geboren wird und aufwächst. Aber tauschen würde ich nicht einmal mit den Milliardärskindern der Upper East Side in New York [...] Denen wird, zweifellos, einmal die Wall Street gehören und alle Reichtümer dieser Welt bis auf einen – eine Kindheit im Dresden der 70er und 80er.“
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