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Sibylle Berg
Vielen Dank für das Leben
Gegen den Menschen ist kein Kraut gewachsen
Mit Vielen Dank für das Leben hat Sibylle Berg wieder einen richtig
zornigen Roman geschrieben
Kritik |
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Sibylle Berg
Vielen Dank für das Leben
Roman
München: Carl Hanser Verlag 2012
400 Seiten, 21,90 €
ISBN 978-3-446-23970-8
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Na endlich! Nach dem etwas berguntypischen „Liebesroman“ Der Mann schläft (Hanser 2009) – Dem nur noch ein Happy End gefehlt hätte! – hat sich die 1962 in Weimar geborene Autorin wieder auf ihre Stärken besonnen. Und die liegen weiß Gott nicht darin, eine romantische Zweierbeziehung zu besingen, selbst wenn der männliche Part von einem Schnarchsack gespielt wird, der sich meistens in der Horizontalen aufhält und maskulines Imponiergehabe nicht zu kennen scheint. Nein, das nehmen wir einer Schriftstellerin nicht ab, die immer dann am besten ist, wenn sie sich in Rage schreiben kann und ihrem Zorn auf die Welt und die, die sie so gemacht haben, wie sie heute ist, die Zügel schießen lässt. Und das tut sie in „Vielen Dank für das Leben“ wieder – unter Einsatz ihrer ganzen Schwarzsehkunst und mit einer Hauptfigur, wie sie von allen momentan auf Deutsch Schreibenden nur Sibylle Berg hat einfallen können.
Toto ist deren Name. Und Totos Geschichte beginnt im kalten Sommer 1966 in der DDR. Da fahren die Bewohner der Provinzstadt, in der Toto geboren wird, mit „sehr kleinen, aus Presspappe gefertigten Personenwagen“, sehnen sich vor leeren Regalen nach den „erfreulichen Vorteilen des Konsumierens“ und sehen sich „von einer fast ohnmächtig machenden Langeweile befallen.“ Die vorherrschende Farbe ist Grau. Der vorherrschende Geruch jener nach Kohl. Das vorherrschende Antidepressivum Alkohol. Mit ihm hilft man sich darüber hinweg, dass der Traum von einem neuen, besseren Leben und die in seinem Namen gebaute Wirklichkeit immer weiter auseinanderdriften: „Der glückliche Volkskörper wollte sich nicht einstellen, warum denn nicht, verdammt noch mal.“
Aber auch Toto kommt in keinem vollkommenen Körper zur Welt. Als Hermaphrodit geboren, verbringt er die ersten Jahrzehnte seines Lebens als Mann, später, wenn es ihn – mehr aus Zufall denn gewollt – ins westliche Deutschland verschlagen hat – wagt er noch einmal einen Neuanfang als Frau. Doch das ändert nichts daran, dass er, wo immer er auch auftaucht, ein Fremdkörper ist, zuverlässig gehasst auch von allen, denen er/sie nur Gutes will.
Vom östlichen Deutschland führt Totos Weg über die wiedervereinigte Republik bis in ein Jahr 2030, in dem sich in der Vision Bergs die Verhältnisse in der Welt vollkommen umgedreht haben: „Früher hatten Europäer Slums in Asien besichtigt und von lachenden Kinderaugen berichtet, von Schlichtheit geschwärmt und den intakten Familien, die arm waren, aber so reich im Herzen. All diesen Großen Quatsch konnten sie jetzt überprüfen.“ Denn Europa ist selbst zum Slum geworden, durch den Touristen aus Asien, Indien und den arabischen Ländern mit gezückten Kameras streifen, um dem ehemals tonangebenden Kontinent beim Sterben zuzusehen, Schnappschüsse vom Untergang einer Hochkultur zu machen. Und der Rest der Welt? Gebeutelt von Atomkatastrophen, Tsunamis, Erdbeben und ständig wachsender Kriminalität. Allein auf entlegenen Inseln leisten ein paar Superreiche dem allgemeinen Verfall noch eskapistisch Widerstand.
Vielen Dank für das Leben bedient sich der reichen Formensprache, die Sibylle Berg in den letzten zwei Jahrzehnten für sich entwickelt hat und an der man Berg-Bücher inzwischen zuverlässig erkennt. Da werden schlaglichtartig Kurzbiografien von Nebenfiguren in den Text montiert. Da wechseln die Perspektiven. Da wird schon mit den Kapitelüberschriften – mehr als die Hälfte der Buchabschnitte trägt ein und dieselbe Titelzeile: „Und weiter.“ – das Gefühl von einer unausweichlich sich ausbreitenden Hoffnungslosigkeit vermittelt. Da schert sich die Autorin nicht um Plausibilität, vermeidet weder Klischee noch Kolportage, trägt dick auf, um nur ja keinen Zweifel aufkommen zu lassen, was sie von den großen Plänen zur Verbesserung der Menschheit hält, die immer wieder einmal auf Null zurückgesetzt werden, um beim nächsten Anlauf umso grandioser zu scheitern.
Sibylle Bergs Weltbild korrespondiert stark mit dem des Franzosen Michel Houellebecq. Der freilich hat in seinem letzten Roman – Karte und Gebiet (Kiepenheuer und Witsch 2011) – alles Menschenwerk wieder von der Natur überwuchern lassen. Der Mensch – eine winzige Episode in der unendlichen Geschichte des Kosmos, mehr nicht, zurückgenommen, bevor er noch mehr Schaden anrichten kann. Zu dieser fast versöhnlichen Haltung kann sich die heute in Zürich Lebende (noch) nicht durchringen, auch wenn es manchmal scheint, als sei ihr seltsamer Protagonist mehr Naturwesen denn homo sapiens und würde der allgemeinen Verachtung gerade auf Grund des Abstands, den er zu allen ihm begegnenden Menschen hat, anheimfallen. In dem Spiel gegen Hass und Niedertracht, Bosheit und Egoismus, das Toto von zwei gelegentlich wie Bondschurken konstruierten Bösewichten aufgezwungen wird, am Ende zu triumphieren, würde allerdings eindeutig zu viel Optimismus verbreiten. Denn gegen den Menschen ist halt kein Kraut gewachsen. Oder wie es bei Sibylle Berg heißt: “Degeneriert mögen sie sein, von Tumoren zersetzt, doch die sterben nicht aus, die gewöhnen sich an alles. Die Menschen.“
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