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Sacha Sperling
Ich dich auch nicht
„Ich gehöre zufällig zu den Coolen …“
Der junge französische Autor Sacha Sperling debütiert mit einem gekonnt geschriebenen Roman über die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens
Kritik |
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Sacha Sperling
Ich dich auch nicht
Roman
München: Piper Verlag 2011
212 Seiten, 17,95 Euro
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Eigentlich wollte ich Romane, die von ihren Verlagen vermarktet werden wie dieser, nicht mehr lesen. Wozu braucht man schon, wenn man seit ein paar Jahr(zehnt-)en erwachsen ist, Hegemanniaden voller Pseudotiefsinn? Reichen ein paar Seiten Clemens J. Setz, ein Kapitel Verena Rossbacher, zwei, drei Geschichten von Marie T. Martin oder Hanna Lemke nicht aus, um sich über den Themenkosmos ernsthafter junger Autoren unserer Tage ins Bild zu setzen?
Doch jung ist halt ein dehnbarer Begriff. Und die zuletzt Erwähnten befinden sich wohl doch schon eher im fortgeschrittenen Alter. Clemens J. Setz, Jahrgang 1982, schreibt über die Verwahrlosung der Gefühle? Wen regt das auf? Eine sechzehnjährige Debütantin verliert sich im Bermudadreieck von Sex, Drugs und Discobeat? Wow – sofort die entsprechende Headline in Auftrag geben! Aber weil nicht jedes Jahr so eine promiskuine Nudel im besten Lolitaalter von den deutschen Bäumen fällt, muss der Verlegerblick halt schweifen. Da hat im benachbarten Frankreich soeben der Roman eines Siebzehnjährigen Skandal gemacht? Her damit! Und schaden wird es gewiss nicht, wenn man Ich dich auch nicht ein wenig im Hegemann-Schatten vermarktet.
Sperling heißt der Verfasser dieses Buches jedenfalls – Sacha Sperling. Und eigentlich sieht er doch ziemlich harmlos aus. Wenn man länger auf das Porträtfoto schaut, meint man allerdings, gewisse Ähnlichkeiten mit dem Tadzio-Darsteller aus Luchino Viscontis Tod in Venedig – Verfilmung zu erkennen. Harmlosigkeit mit einem kleinen Touch von Verruchtheit also.
Ich dich auch nicht hat der Sohn zweier international bekannter Filmgrößen – Diane Kurys und Alexandre Arcady – mit Vierzehn begonnen, drei Jahre später noch einmal komplett umgeworfen und schließlich 2009 in einem Pariser Verlag herausgebracht. Diejenigen, welche dann sofort nach den Sittenrichtern riefen, waren wenig später deutlich in der Minderheit. Denn schnell erkannte die Kritik, wie ernsthaft und sprachlich raffiniert hier ein Autor in seinem ersten Buch die Probleme des Hineinwachsens junger Menschen in die Welt von heute beschrieben hat.
Sperlings Held heißt Sacha Winter. Er ist vierzehn Jahre alt, wenn der Leser ihm begegnet, lebt bei seiner geschiedenen Mutter und ist finanziell rundum gut versorgt. Gerade fängt die neunte Klasse an und Sacha sollte eigentlich ein bisschen Gas geben in der Schule. Aber im Grunde langweilt ihn alles. Und so sieht man ihn bald im Schlepptau des charismatischen Augustin durch die Pariser Clubs und Diskotheken ziehen. Es wird eine Menge Gras geraucht, getrunken bis zum Umfallen (Letzteres gern auch einmal im Unterricht am Tag danach) und erste, meist oberflächliche Erfahrungen mit dem anderen, aber auch mit dem eigenen Geschlecht fallen an. Doch nichts dringt tiefer ein in diesen sich beständig cool gebenden Burschen, der sein Jungsein mehr imitiert denn lebt.
Am Ende von Ich dich auch nicht hat der Leser mit Sacha eine „Saison in der Hölle“ verbracht. Une saison en enfer heißt der einzige von Arthur Rimbaud selbst veröffentlichte Band mit Prosagedichten aus dem Jahr 1873. Und ein bisschen an die Liebesgeschichte des Dichters aus Charleville, der 1871 – im Alter von 16 Jahren (!) – seinen ersten Brief an Paul Verlaine, mit dem er dann zwei Jahre durch Frankreich, England und Belgien vagabundierte, schrieb, soll das Auf und Ab zwischen Sacha und Augustin wohl auch erinnern. Allein der Nachfahre Rimbauds ist sich vollkommen darüber im Klaren, dass er in anderen Zeiten lebt. Ganz traditionsbewusst formuliert er sein Unbehagen anlässlich einer Kreuzfahrt mit dem an Rimbauds Le bateau ivre erinnernden Kommentar: „... außerdem sind die Schiffe nicht mehr trunken ...“
Es sind solche intertextuellen Reminiszenzen an eine andere Jeunesse dorée, die Sperlings Roman so außergewöhnlich erscheinen lassen. Sein Held leidet weniger an seiner und unser aller Gegenwart denn an den Hürden, die sich an der Grenze zum Erwachsensein generell aufbauen. Er ist auf der Suche nach Gewissheiten, die ihm keiner zu bieten vermag. Und seine Instinkte funktionieren noch nicht so reibungslos, dass er all die Lebensfallen erkennen könnte, in die er mehr oder weniger hilflos tappt. Das Resultat ist ein Ausprobieren sämtlicher Möglichkeiten, die sich ihm eröffnen. Dass er sich und anderen dabei gelegentlich wehtut, nimmt Sacha in Kauf. Am Jahresende wird er die Klasse noch einmal wiederholen müssen. Ohne den diabolischen Verführer Augustin, der seine eigenen Wege einschlägt. Aber vielleicht ein bisschen sicherer in Bezug auf die Möglichkeiten, die ihm eine eigene, nicht von anderen geborgte „Geschichte“ eröffnen könnte.
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