Wobei man nicht lange im Unklaren darüber gelassen wird, dass Kirchhoffs Protagonist hinter dem nome de guerre „Porsche“ metaphorisch sein Geschlechtsteil (GT, deshalb auch: Porsche GT!) versteckt. Wenn man also auf den ersten Buchseiten erfährt, dass jenem sprachlich zum PS-starken Boliden aufgehübschten Organ mit einem Korkenzieher ein Leid getan wurde, darf auf mehr als einen Lackschaden geschlossen werden. Und so ist es auch: Das italienische Edelstahlteil hat Schäden angerichtet, die Deserno nach Abschluss der stationären Behandlung zu einem mehrmonatigen Aufenthalt in der Kurklinik „Waldhaus“ zwingen. Da fährt er dann für einen Tagessatz von eintausendachthundert Euro im Rollstuhl durch ein festungsartiges, von russischen Sicherheitsleuten bewachtes Reservoir für die Reichen und Schönen dieses Landes und hält Rückschau auf sein Leben. Kirchhoff hat sein Sanatorium der Saturierten, in dem er den Roman fast ausschließlich spielen lässt, mit „Promileichen“ jeglicher Couleur gefüllt. Abgehalfterte Fernsehmoderatorinnen finden sich hier ebenso wie ewig grinsende, grauhaarige Comedians. Wirtschaftsbosse, die es mit der Steuer nicht so ernst genommen haben, versuchen nicht aufzufallen, während geschasste öffentlich-rechtliche Literaturkritikerinnen mit Katzenaugen noch immer nach dem Rampenlicht zu gieren scheinen, in das am Ende gar ein Großautor mit seinem neuen Goetheroman tritt. Zwischendurch verdrückt man jede Menge Italienisches – Von Sachsen serviert! –, pflegt die gehobene Konversation und lauscht verstört hinaus in eine Welt, in der tradierte Gewissheiten schneller als je gedacht außer Kurs geraten. Wer in den letzten beiden Jahren gut aufgepasst hat und mit den Neuigkeiten aus Literatur, Gesellschaft, Politik und Medien oberflächlich vertraut ist – der durchschnittliche BILD-Leser also zum Beispiel –, wird die eine oder andere „Persönlichkeit des öffentlichen Lebens“ ohne Schwierigkeiten wiedererkennen können. Allein dieser Effekt vernutzt sich schnell und wird ganz und gar zu kindisch-infantiler Alberei, wenn der Goetheroman-Schreiber Ludger Truchseß gegen Ende des Buchs aus seinem Text vorliest. So viel Häme hat nicht einmal Martin Walser verdient. Hauptattraktion der Schwarzwaldklinik freilich ist Helene. Man muss die berüchtigten Feuchtgebiete nicht gelesen haben, um hinter der depressiven jungen Erfolgsautorin mit der zarten Physis, die schon bald Desernos Tisch im Speisesaal teilt und ihm schmutzige Avancen macht, die literarische Überfliegerin der letzten Jahre zu erkennen. Zusammen mit Selma, der Bankkollegin, Exgeliebten und Korkenzieherattentäterin, sowie Ursel, Daniels Mutter, die einst mit Joschka auf den Barrikaden focht, bildet sie die weibliche Trias des Romans. Die erlöst den Helden am Ende in konzertierter Aktion zwar von seinem Gebrechen, verliert ihn aber dennoch an eine Vierte, die aus dem fernen Indien immer wieder auf wundersame Weise die kleinen Dinge des Lebens regelnde Internetfee Zaibunissa. Das Ganze liest sich streckenweise nicht unflott, hat aber letztlich doch nicht die Qualitäten, um zu DEM Roman unserer Tage zu werden. Eher funktioniert es wie die Bank, in der Deserno einst Fonds managte. In der war eine „Schweineabteilung“ fürs mehr oder weniger Grobe zuständig, während die „Kosmetikabteilung“ unterm Dach ein wohltätiges Mäntelchen um das eiskalte Geschäftsgerippe schlang. Erinnerungen an meinen Porsche ist, je länger es dauert, umso mehr Schund- denn Zeitroman, mehr Schweine- als Kosmetikabteilung, mehr Kleine-Jungs-Gegicker denn Höllengelächter. Da vermögen selbst die in den Text eingestreuten zehn Regeln für jene, die sich literarisch zu produzieren wünschen, nicht mehr viel zu retten, auch wenn sie relativ praktikabel klingen. Ein Hinweis zum Schluss: Knapp zweihundert Kilometer nördlich von Kirchhoffs Heilklinik im südlichen Schwarzwald lässt in diesem Frühjahr ein anderer Frankfurter Autor seinen neuesten Romanhelden klinisch betreuen. Gerhard Warlich – so der Name von Wilhelm Genazinos Protagonisten aus Das Glück in glücksfernen Zeiten – landet unter Autisten, Depressiven und Schizoiden, nachdem ihn auf offener Straße die Lebensverzweiflung nicht mehr losgelassen hat. Selbstdiagnose: „verlarvte Depression mit einer akuten Schamproblematik“. Das Ganze ein Resultat falscher Erwartungen, wie der „Beinahe-Künstler“, der mit Heideggerpromotion im Lebenslauf inzwischen für eine Großwäscherei malocht, nur zu gut weiß: „Ich war jahrzehntelang auf ein besseres Leben vorbereitet ..., das aber nie eintrat.“ Nun hat er – ähnlich Deserno – Zeit zum Nachdenken und zur Erforschung seiner durcheinandergeratenen Gefühle. Und wie er das macht, geht einem dann doch ein bisschen näher als Desernos pseudozeitkritisches Harnröhrenepos.
|
Dietmar Jacobsen
|