Fast 34 Jahre später, am 7. Juli 1985, schlug der 17-jährige Boris Becker auf dem Center Court in Wimbledon seinen Grand- Denn da sitzen sie eingangs, Charly Renn und seine Freunde Kai und Thommy, und vor ihnen – in der Glotze – macht ihnen ein „Kindmann“ mit „Schweinswimpern“, „sinnlich aufgeworfenen vollen Lippen“ und „weißbeflaumt-weißen, obszön kräftigen, säulenhaften Schenkeln“ vor, was man erreichen kann, wenn man wirklich alles in die Waagschale wirft. Da kommt ein Kraftfluss zustande, der die beiden Welten miteinander kurzschließt, ein magischer Kontakt als Versprechen in die eigene großartige Zukunft. Siegt dieses „riesige Albino-Tier“ auf der Mattscheibe, so ahnt, hofft, fantasiert und imaginiert man, dann sollte auch im eigenen Leben, das gerade langsam in die Gänge kommt, nichts mehr unmöglich sein. Doch Kleebergs Held ist niemand, der sich von ganz unten mühevoll nach oben kämpfen muss. Da, wo es eng wird in der Gesellschaft, hat er per Zufall der Geburt längst seinen Platz. Und wenn der Vater ihm aus Anlass seiner Heirat noch das (Danaer-) Geschenk eines Autohauses macht, könnte das der Beginn einer wunderbaren Geschichte werden. Allein wir sind in keinem Kolportageroman, auch wenn der Autor gelegentlich beweist, dass er auch mit den Mitteln der Kolportage – wie mit so vielen anderen literarischen Mitteln, Tönen, Stilen und stilistischen Fácetten – arbeiten kann. Und dass die Zukunft Karlmann Renns – wie Charly wirklich heißt – keineswegs so strahlend sein dürfte, wie der blendende Eingangsmoment verspricht, wird schon deutlich, wenn es ihn gegen Ende des ersten Kapitels ohne Not oder andere zwingende Gründe in die Arme und zwischen die Schenkel der Brautjungfer treibt, während die ihm frisch Angetraute verträumten Blicks auf die Hochzeitsnacht wartet. Peinlich, peinlich. Allein damit ist die Richtung vorgegeben. Kapitel für Kapitel – und der Roman hält fünf davon bereit, die jeweils einen epiphanisch herausgehobenen Tag der Jahre 1985 bis 1989 erzählen – verliert Kleebergs Figur ihren Nimbus, das Boris- Am Ende liegt die kleine Welt des Karlmann Renn in Trümmern und Kleebergs Buch erreicht mit dem Jahr 1989 den historischen Punkt, an dem es zeitgleich zu Ende geht mit der alten Bundesrepublik. Was da von Osten her heraufdräut, begreift die mit sich selbst beschäftigte Hauptfigur freilich kaum. Genscher auf dem Balkon der Prager Botschaft kommt einmal in den Blick, die „Gulaschkommunisten“, die den Eisernen Vorhang zwischen Ungarn und Österreich zerschneiden, finden Erwähnung – aber ansonsten gehen „diese ganzen Umtriebe drüben“ keinem so richtig nahe. Wie der Autor sie gewichtet – ob als Chance für seinen am Schluss in einer Art Pariser Exil landenden Helden, dem die Frau mit einer anderen Frau davongelaufen ist, oder Wiederkehr des ewig Gleichen – wird sicherlich der Folgeband deutlich machen. Mit einer Hommage an Don DeLillos Unterwelt beginnt der Autor seinen Roman, mit einer an James Joyces Ulysses – wo Hamburg in die Rolle von Dublin rückt – hört er auf. Dazwischen finden sich Anklänge an John Updikes „Rabbit“-Pentalogie, Thomas Manns Lübecker Familienepos und Prousts erzählerischen Umgang mit der Zeit. Hochambitioniert also, das Ganze. Aber es funktioniert durchaus – zumindest über weite Strecken, erst jenseits der Seite 400 ergriff den Rezensenten hier und da ein Gefühl zunehmender Zähigkeit. Das mag freilich auch daran gelegen haben, dass der Autor in den drei Mittelteilen mit grandiosen Beschreibungen, Dialogpassagen und inneren Monologen die Latte für das eigene Weiterschreiben so hoch gelegt hat, dass ein (winzig-) kleines Abrutschen zwangsläufig kommen musste. Alles in allem ist dieser Roman aber ein Unternehmen, dem neidlos zu bescheinigen ist, dass es sich zu einer literarischen Höhe aufschwingt, die nur die wenigsten seiner zeitgenössischen Konkurrenten erreichen. Chapeau!
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Dietmar Jacobsen
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