Allein der Beistand kommt – gewollt oder nicht und in der Regel seinen guten Zweck verfehlend – von allen Seiten. Da sind zuerst die Eltern, Renata und Jim, den Sohn nicht wenig nervend in ihrem unbedingten Bemühen zu verstehen, was da gerade mit ihrer Familie passiert. Dann der Bruder, Jeff, ein wenig älter und, wie er nur zu gern durchblicken lässt, durchaus erfahren im Umgang mit der Frauenwelt. Und schließlich – neben der jugendlichen Hauptfigur die sympathischste Gestalt des Romans – der Klinikpsychiater Adrian King. Der hat eigentlich genug mit sich selbst zu tun – gerade zu der Zeit, als er Donald kennenlernt, geht seine Ehe langsam in die Brüche –, aber einem Vierzehnjährigem, der hinter flotten Sprüchen und genial gezeichneten Geschichten Lebensgier und Todessehnsucht zugleich verbirgt, kann er als Herausforderung nicht widerstehen. Es ist eine tolle Geschichte, die sich zwischen dem gerade 50 Jahre alt gewordenen, ein „Leben im Adagio“ führenden Arzt und seinem Patienten, der keine 15 Jahre alt werden wird, abspielt. Denn im Grunde genommen sind die beiden sich ähnlich und wie dafür geschaffen, einander zu helfen. Donald will Sex und Adrian ebnet ihm den Weg zur Erfüllung dieses Verlangens. Adrian sucht das Glück und Donald macht ihm mit einem Satz begreiflich, dass er es nicht in seiner Ehe finden wird. Am Ende ist der eine tot, aber er hat bekommen, was er sich wünschte, wenn auch in einer anderen, viel zarteren Art, als der Psychiater sich das vorzustellen vermochte. Und dieser ist nun zwar seinen Job los, weil er einen jugendlichen Patienten für eine Nacht in die Obhut einer Prostituierten gegeben hat, aber gleichzeitig bereit für einen neuen Aufbruch, dem er wie neugeboren auf dem Treppengeländer entgegenrutscht, ein „Psychologe im freien Fall.“ Anthony McCarten schreibt rasant und in einer Mischung aus Filmscript und lautmalerischer Comicsprache. Immerzu wird in seinem Roman auf- und abgeblendet, zwischen „Innen / Nacht“ und „Außen / Tag“ gewechselt, mal sind die Schnitte schnell, mal behutsam, dann wieder zieht sich die Kamera ganz zurück. Donald Delpes Abschied von der Welt wird als klassischer Dreiakter inszeniert, dem unter dem Titel „Outtakes und gestrichene Szenen“ noch eine Art Epilog angehängt ist. Und er gehorcht ganz der klassischen Dramaturgie, strebt zunächst einem Höhepunkt zu, nach dem die Handlung kippt, sich noch einmal kurz fängt und die Möglichkeit eines Happy Ends andeutet, ehe die finale „Katastrophe“ eintritt. Das ist die Ästhetik des 19. Jahrhunderts, dem Doktor Adrian King, der Schöngeist mit dem Spezialgebiet „Trauer“, verhaftet ist. Donald Delpes eingestreute Comic-Szenen, in denen sich sein Alter Ego MIRACLEMAN mit dem fiesen DR. GUMMIFINGER und dessen lasziver Helferin – einer „großbusige(n) Schlampe“ im Schwesternoutfit – Kämpfe auf Leben und Tod liefert, konterkarieren diese klassische Haltung zur Kunst, mischen sie auf mit den Straßengeräuschen von heute zwischen provokanter Obszönität und ungeschickt-leisem Liebesverlangen. Oscar Wilde trifft Art Spiegelman. Fantastisch die Fähigkeit des Autors, alle auftretenden Figuren auf knappstem Raum witzig-trefflich zu charakterisieren. Gekonnt und voller Esprit die Dialoge, in welche er sie sich verwickeln lässt. Hier verrät sich der mit allen Tricks und Effekten vertraute Theatermann McCarten, der es gelernt hat, zielstrebig auf Pointen zuzuschreiben und Gefühlslagen über Stillagen erfahrbar zu machen. Das reißt mit und lässt den Leser fast die Tragik vergessen, die hinter der Geschichte von Donald Delpe, dem begabten Zeichner und chancenlosen Kämpfer gegen einen so ungerechten wie sinnlosen Tod, steht. Aber eben nur fast. Denn die große Kunst dieses kleinen Romans ist es, das Schwere mit dem Leichten auszubalancieren, dem Traurigen seine komischen Seiten abzutrotzen und damit dem Leben in seiner ganzen Unbegreiflichkeit auf knapp dreihundert Seiten melancholisch seine Reverenz zu erweisen.
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Dietmar Jacobsen
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