Thomas Brussigs Uwe Fertig gehört zu eben dieser Spezies. Für 5 Ostmark und voller Idealismus hat er einst angefangen, Ordnung ins balltretende Chaos der Kreisklasse zu bringen. Nun, da der Leser ihn kennenlernt, pfeift er längst international im Auftrag der FIFA und entscheidet somit über die Stimmung in riesigen Arenen. 40.000, 50.000, ja 80.000 Fans hängen an seinen Lippen – und wehe, er spitzt sie und entlässt unbedacht Luft in sein Arbeitsgerät. Schiedsrichter Fertig ist Brussigs zweiter Fußballmonolog. Bereits 2001 ist unter dem – für Fachfremde grammatisch provozierenden – Titel Leben bis Männer ein Text des bekennenden Hertha BSC-Fans erschienen. Damals ging es um einen Trainer, dem die Mannschaft abzusteigen drohte, weil ihr Stürmerstar als Mauerschütze vor Gericht anzutreten hatte. Hinter dem sprachgewaltigen Solo auf dem vom Regen durchweichten Acker des Sportvereins „Tatkraft Börde“ verbarg sich damit nicht zuletzt eine bittere Wendegeschichte mit der provokanten Fragestellung, ob man auf eingespieltes Personal tatsächlich komplett verzichten könne beim Neuanfang. Nun, sieben Jahre später, macht sich einer Luft, der nicht in die Dinge verwickelt ist, sondern eigentlich über ihnen stehen sollte. Und sein verbaler Rundumschlag trifft alles, was mit Fußball zu Beginn des dritten Jahrtausends verbunden ist und zu durchaus ehrlich gemeinten Emphasen Anlass gibt. Doch Fertig, der Insider, weiß, was dahinter steckt – ein großes Theaterspektakel, eine gigantische Seifenblase, am Schweben gehalten von vielen Menschen, die lügen um des eigenen Vorteils willen, und vielen anderen Menschen, die sich selbst fleißig belügen, um nicht plötzlich vor einer unaushaltbaren Leere zu stehen. In dieser Gemengelage wird am Ende die hehre Rolle des Unparteiischen obsolet, als Mensch bleiben ihm nur noch die Flucht in den Zynismus und der schließliche Ausstieg aus dem Geschäft. Letzteren zelebriert Brussigs Protagonist denn auch, indem er die Brücke schlägt von jenen Plätzen, die von 50 Beinen – wir zählen Schieds- und Linienrichterbeine natürlich hinzu! – Samstag für Samstag 90 Minuten lang durchgepflügt werden, zu den Ungereimtheiten und alltäglichen Katastrophen des Lebens nach dem Abpfiff. Den kleinen, knapp 90-seitigen Monolog mit viel Raum für Randglossen wird man in kommenden Jahrhunderten nicht zu des Autors Hauptwerken zählen. Thomas Bernhard das Wasser zu reichen, ist halt nicht einfach. Aber auch Goethes Jahrmarktsfest zu Plundersweilern machte zu seiner Zeit Effekt und Spaß und ward später fast vergessen. Als Fingerübung und Gelegenheits- bzw. Auftragsarbeit liest sich Schiedsrichter Fertig jedenfalls schnell weg und versteht zu unterhalten. Und wer Fußball ganz und gar nicht mag, wird sich vielleicht sogar über der Lektüre noch ein wenig aufmunitionieren können für den nächsten Ehestreit um die Fernbedienung. Mit dem schön ausgestatteten Büchlein eröffnet der Residenz Verlag übrigens eine neue Reihe. Autoren sind eingeladen, sich zu einem Thema ihrer Wahl Luft zu machen. Literarisches Jammern auf möglichst hohem Niveau ist angestrebt. Mit dem Autor von Sonnenallee und Helden wie wir hat man dabei keinen schlechten Griff getan. Der beherrscht das Sich-Erregen aus dem Stand, versteht es, sich fein hineinzusteigern in die Empörungszustände seiner Hauptfigur und bekommt es sogar fertig, dem Ganzen gegen Schluss noch eine überraschende Wendung ins Leben jenseits der Bolzplätze zu geben. Damit liegt die Latte für notorische Grantler ganz schön hoch. Wir sind gespannt, wen man als Nächsten Anlauf nehmen lässt.
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Dietmar Jacobsen
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