Marion Poschmanns sich dem streng geregelten Genre der Novelle verschreibender Prosatext ist das Dokument einer Krise. Für seine Ich-Erzählerin, die gerade arbeitslos geworden ist und ihre krebskranke Mutter verloren hat, verschwimmen nach und nach die Grenzen der gewohnten Welt. An ihre Stelle rückt eine üppig wuchernde Natur, die aus den Ritzen allgegenwärtigen Betons herausschießt, verrostete Stahlträger grün ummantelt und sich allmählich zurückholt, was Menschenwerk ihr einst entriss. Es sind nur ein paar Minuten mit der Straßenbahn aus der Stadt hinaus zu jenen „Nichtorten“, wo dichtes Blattwerk und wachsendes Gezweig den Ring um die zivilisatorische Lichtung langsam enger ziehen. Und es sind nur minimale, kaum merkbare Verschiebungen in den gewohnten Koordinaten eines in Alltäglichkeiten verankerten Lebens, die Poschmanns einsame Heldin dazu bringen, Sinn und Zweck ihres Seins, von dem der Leser nicht mehr erfährt, als dass es vor Kurzem noch einen festen Rahmen besessen hat, vollkommen zur Disposition zu stellen. Dabei dient der zugelaufene Hund der Protagonistin zunächst als Gegenüber, als Studienobjekt für eine andere, natürliche und kreatürliche Art, das Dasein zu bewältigen. Ihn in die Menschenwelt zu holen, seine Domestizierung zu betreiben, bringt deshalb zunächst nicht wenige komische Momente mit sich. Alles in allem ist Komik freilich nicht die Methode, mit der die lyrische Prosa der Autorin sich die Wirklichkeit unterwirft, ja kann vielleicht nicht einmal von einer „Unterwerfung der Wirklichkeit“ im Zusammenhang mit diesem poetischen Text die Rede sein. Denn während der Mischling alsbald in einem selbst geschneiderten Mäntelchen daherkommt und in einem Hundesalon von seinem verdreckten Fell befreit, entflöht, gewaschen und shampooniert wird, fällt seine Herrin, die schon eingangs unter einer „eigenartigen Trägheit“ leidet, dicker wird und eine herunterziehende Schwere verspürt, allmählich in einen Zustand, der sie ihrer aktivistisch vor sich hin wuselnden Umgebung immer mehr entfremdet. Am Ende wird nichts Menschliches mehr an ihr sein, wird sie sich aufgelöst haben unter der Ewigkeit eines Sternenhimmels, an dem allein der Hund als Zeichen weiterexistiert. Fremdsein in der Welt, die ihre absurden Rituale einfach weiterspielt. Kritik an einer Zivilisation, die sich über alles Natürliche hinwegsetzt. Lob der Einsamkeit als ein Geschenk an den in Menschenmassen müd Gewordnen. Sehnsucht nach dem Verschwinden des Selbst, seiner Auflösung. Es sind alte Themen, die die vorliegende Novelle in unsere Gegenwart transportiert. Und sie stützt sich dabei auf ein Zeichenarsenal, das sie souverän und spielerisch beherrscht. Das Fazit ihres Lebens formuliert Marion Poschmanns namenlos bleibende Erzählerin schließlich als Text auf einer Postkarte, die sie an all jene verschickt, von denen sie nichts als die Adressen mehr besitzt: Melancholia balneum diaboli est, Melancholie ist das Bad des Teufels – ein Gedanke des englischen Schriftstellers, Geistlichen und Gelehrten Robert Burton (1577 – 1640) aus seiner berühmten Anatomy of Melancholy von 1621. Allein sie frankiert die Karten nicht. Wer neugierig darauf ist, was sie zu sagen hat, soll gefälligst dafür bezahlen.
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Dietmar Jacobsen
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