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Andreas Montag
Mannestreu

Karin und die Männer

Andreas Montag legt nach über zwei Jahrzehnten der Abstinenz von der großen epischen Form wieder einen Roman vor

Andreas Montag | Mannestreu
Andreas Montag
Mannestreu
Roman
mdv 2008
Sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Maroffke – der Draufgänger, der nichts liegenlässt, ungeschlacht und laut, jedem Rock hinterher. Siegfried Kühn – ganz das Gegenteil von den protzenden Versprechen seiner beiden Namen, ängstlich und in sich gekehrt, des Nachts auf Kinderpornoseiten unterwegs. Und Ehrenfried Eberding, als Schwächling von seinem Vater verachtet, ehemaliger Theologiestudent und vom Gewissen geplagter Stasispitzel. Im Leben draußen hätten sie wohl kaum viel miteinander anzufangen gewusst. Nun zwingen ihre Herzprobleme die drei Männer um die 50 zusammen in eine Reha-Klinik am Meer, an einen Tisch bei den Mahlzeiten und bald auch in eine gemeinsame Geschichte, die für einen von ihnen tödlich ausgeht.

Andreas Montags erster Roman nach über zwanzig Jahren Absenz von der großen Form – er versucht, die Lücke geschickt zu überbrücken, indem er die Hauptfigur seines 1985er Debüts Karl der Große oder die Suche nach Julie in einer Nebenrolle als geläuterten Melancholiker auftreten lässt – hat sich viel vorgenommen. In einem abgesonderten Raum lässt er exemplarisch im Kleinen aufeinanderprallen, was unsere Gesellschaft auch im Großen umtreibt. Es geht um das Verhältnis von nicht bewältigter Vergangenheit und schwierig zu lebender Gegenwart. Um die, die einfach vergessen können, was war, und jene, denen die vormals geschlagenen Wunden dauerhaften Phantomschmerz verursachen. Von scheiternden Beziehungen ist die Rede und unterschiedlichen Versuchen, sich über die eigenen Schwächen hinwegzulügen. In den Wandel der modernen Arbeitswelt darf der Leser Einblick nehmen, das Verhältnis zwischen Ost und West und die Verlockungen des Virtuellen werden thematisiert, welch letzteres, wenn man genauer hinsieht, so ganz virtuell dann doch nicht ist. Ja, selbst das leidige Generationsproblem kommt auf den Tisch.

Dass die Handlung trotz dieser Konfliktmasse überschaubar bleibt, der Roman sich so flüssig wie spannend liest, darf der Autor gern auf der Habenseite verbuchen. Da ist nicht wenig Gelungenes, voran die Naturbilder, welche die Handlung emotional grundieren. Aber auch das Ineinandergreifen der unterschiedlichen Figurenperspektiven und die zahlreich in den Text eingestreuten Hinweise darauf, dass man praktisch an einem Laborversuch teilnimmt, bei dem verschiedene Elemente miteinander in Berührung gebracht werden, damit sie Reaktionen zeigen und unter dem Strich neue Qualitäten entstehen, verdienen es, hervorgehoben zu werden.

Allein das ganze Buch zählt nur 174 Seiten. Und was die vier Haupt­personen – zu den drei Männern gesellt sich gleich zu Beginn noch eine Frau, Karin – auf dieser kurzen Prosastrecke zu schultern haben, ist erzählerisch dann doch ein wenig viel. Ja, bei fortschreitender Lektüre kann man sich des Gefühls nicht ganz erwehren, hier arbeite einer schlicht und verbissen einen Problemkatalog ab. Und zwar dergestalt, dass, wenn nach zwei Dritteln immer noch nicht zur Sprache gekommen ist, dass es in DDR-Jugendwerkhöfen brutale Gewalt gegen Schwächere gegeben habe, einer Figur einfach die entsprechende biografische Kerbe geschlagen werden muss.

Seinen Höhepunkt in dieser Hinsicht erreicht der Roman übrigens, wenn er Karins verstorbenen Mann – der Brummifahrer hat sein Fahrzeug gegen einen Brückenpfeiler gelenkt – eine zweite Frau samt Kind haben lässt, die just während des Reha-Aufenthalts der Witwe in deren Haus auftaucht, um alsbald eine Liebesbeziehung mit dem fast erwachsenen Sohn zu beginnen. Kein Wunder, dass bei solcher Verwicklungsdichte ein Gutteil der Knoten unaufgedröselt bleibt. Oder ist es wirklich nachvollziehbar, dass das Eingeständnis Siegfried Kühns, er sei seit Jahren regelmäßig auf Kinderpornoseiten unterwegs, bei Karin nicht mehr als den Appell auslöst, damit sofort aufzuhören?

Was bleibt aber stiftet bei Andreas Montag die Natur. Das anbrandende Meer, mal stürmisch, mal friedlich, unberechenbar im Ganzen, aber immer da, sämtliche menschlichen Katastrophen, Irrungen und Wirrungen grundierend. Und wenn es sich auf der letzten Seite „wie ein Leichentuch“ über die dunkel werdende Szene legt, ist man mit den kleinen Schwächen des alles in allem gelungenen Romans schnell wieder versöhnt.
Andreas Montag wurde 1956 in Gotha geboren und arbeitet als Journalist und Schriftsteller. 1988 erschien sein Roman Karl der Große oder die Suche nach Julie und 2007 der Erzählband Die weitere Verwandlung des Blicks.
Dietmar Jacobsen     04.10.2008   
Dietmar Jacobsen