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Adaobi Tricia Nwaubani
Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy

Die „Bruderschaft der coolen Knete“

Im Debütroman von Adaobi Tricia Nwaubani erfährt man mehr über das Leben im heutigen Nigeria

  Kritik
  Adaobi Tricia Nwaubani:
Die meerblauen Schuhe
meines Onkels Cash Daddy
Roman
Übersetzung: Karen Nölle.
München: dtv 2011
496 Seiten, 14,90 Euro


Kingsley ist eine ehrliche Haut. Und sagenhaft begabt dazu. Aber was nützt es, wenn man die Uni mit hervor­ragenden Noten verlässt, aber keine Firma Interesse an einem zeigt. Wenn der von Vater und Mutter beispielhaft vorgelebte Weg ins Leben sich im heutigen Nigeria als Sackgasse heraus­stellt. Man die Verlobte an einen anderen verliert, nur weil der weniger mit Skrupeln behaftet ist. Und schließ­lich sogar ohnmächtig mit­ansehen muss, wie ein korruptes Gesund­heits­system dem Vater das Leben kostet, während gleichzeitig ein Onkel, der zeitlebens als das schwarze Schaf der Sippe galt, das große Los gezogen zu haben scheint und nur so im Geld schwimmt.

Adaobi Tricia Nwaubanis Die meeerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy, ausge­zeichnet mit dem Commonwealth Writer's Prize 2010 als bester afri­kanischer Debüt­roman, nimmt seine Leser mit in eine Welt fern unserer westeuropäischen Normalität. Eine Welt, in der weder Wünschen noch Beten helfen und derjenige, der sich an Regeln und Gesetze hält, bereits verloren hat. Auch Bildung, ein Wert, den sich die Eltern des jungen Kingsley einst, in den 60ern, aufs Panier geschrieben hatten, der sie herausführen sollte aus Armut, Aber­glauben und Abhängig­keit, ist längst nicht mehr der Königsweg zum Glück. Nein, nur mit Tricks und Gaune­reien ist noch an den Stoff zu kommen, der ein sorgen­freies Leben garantiert.

419er – nach dem Paragrafen 419 des nigeri­anischen Straf­gesetz­buchs – nennt man jene so genannten „Scammer“, die haupt­sächlich von schwarz­afri­kanischem Boden aus mit vollmundigen Verspre­chungen blauäugige Klienten in aller Welt suchen. Sie haben das Internet als Möglichkeit des schnellen Geld­erwerbs entdeckt. Per E-Mail lockt man mit Mil­lionen­gewinnen, hinter denen in Wahrheit nichts als die pure kriminelle Energie steckt. Fällt auch nur einer von Zehn­tausenden auf die findigen Betrüger herein, hat sich das Geschäft mit der finanziellen Vorleistung für ein Gut, das man anschließend nie zu sehen bekommt, schon gelohnt. Lässt sich kein Geld mehr aus dem Opfer pressen, wird es fallengelassen – plötzlich funktionieren keine Telefon­nummern mehr, Mails gehen ins Leere, Verbindungsleute sind abgetaucht. Wer rechtliche Schritte einleiten will, verzweifelt im Sumpf der staatlichen Korruption.

Kingsleys Onkel Boniface, der sich Cash Daddy nennt, ist so ein 419er. Gemein­sam mit dubiosen Freunden wie Pound Sterling,World Bank oder Money Magnet scheffelt er Millionen von so wohl­habenden wie geld­gierigen Weißen in aller Welt. Die Häuser dieser Männer gleichen Festungen. Armeen von Angestellten und Body­guards leben hinter ihren Mauern. Man gibt Audienzen wie die Könige von einst. Besitzt Luxus­limousinen im Dutzend und sorgt dafür, dass es auch der Familie an nichts fehlt. Den Angehörigen des „Clubs der coolen Knete“ ist praktisch nichts unmöglich – allein sämtliche Skrupel haben sie abzugeben, bevor sie ins Geschäft mit der Leichtgläubigkeit einsteigen.

Der jungen nigerian­ischen Autorin gelingt ein aufschlussreicher Blick hinter die Kulissen einer Szene, über die man geneigt ist, schnell den Kopf zu schütteln. Denn wer fällt schon auf Dummen­fang dieses Ausmaßes herein? Glaubt wirklich jemand, wenn er einem ihm bis dato völlig unbekannten nigerianischen Potentaten behilflich dabei ist, zig Millionen Dollar an der Steuer vorbei ins Ausland zu schmuggeln, dann erwarteten ihn 20 Prozent der Summe als Belohnung? Landet nicht all das, was zwischen Lagos und Abá, Port Harcourt und Umuahia in E-Mail-Formulare eingegeben wird, auf direktem Wege in euro­päischen und ameri­kani­schen Spam­ordnern? Und sind die „Mugus“, wie man jene Weißen nennt, deren Konten bis zur letzten Münze leergemolken werden, wirklich so unglaub­lich dämliche Zeitgenossen?

Nwaubanis Held arbeitet sich, einmal von seinem Onkel angelernt – dem mit den „meerblauen Schuhen“, die im etwas unglücklich ausge­fallenen Titel der deutschen Übersetzung des Romans als Status­symbol figu­rieren –, schnell nach oben. Zum ersten Mal lebt er vollkommen sorgenfrei. Zwei Brüder und eine Schwester dürfen sich sämtliche Wünsche erfüllen, die sie haben. Der Mutter sagt er lieber nicht, woher sein Reichtum stammt. Aber dann übernimmt sich Onkel Cash Daddy, steigt in das Rennen um einen Gouver­neurs­posten ein und wird von der Konkur­renz kurzer­hand vergiftet. Zeit für den Neffen, aus­zu­steigen aus einem Geschäft, das in den Augen der Menschen, auf die es ihm am meisten ankommt im Leben, mit Verachtung gestraft wird.

Das Ende des Romans droht ein bisschen in politisch zu korrektes Morali­sieren abzu­gleiten. Die gewiefte Autorin merkt das schnell und setzt auf die Moritat vom “geläuterten“ Übeltäter schnell noch eine relati­vierende Pointe obendrauf. Alles in allem aber gelingt Adaobi Tricia Nwaubani ein durch Humor gemilderter Blick hinter die Kulissen einer Welt, in der Gewalt und Korruption zu legitimen Mitteln des Über­lebens in allen gesellschaft­lichen Bereichen geworden sind und den Ein­zel­nen, wenn er scheitert, kein ausge­klügeltes System von Sicher­heiten auf­fängt. Wir aber wissen, wie wir dem Ärgernis der nächsten Spam-Welle aus Nigeria begegnen können – mit einem Buchtipp, der von Herzen kommt.
Dietmar Jacobsen   01.06.2011   

 

 
Dietmar Jacobsen