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Serhij Zhadan

Hymne der demokratischen Jugend

Chancenlos in Charkiw

Serhij Zhadan wirft mit Hymne der demokratischen Jugend einen satirischen Blick auf die Ukraine von heute

Kritik
  Serhij Zhadan
Hymne der demokratischen Jugend
Suhrkamp Verlag 2009
187 Seiten, 19.80 Euro


Wenn in diesen Wochen und Monaten Nachrichten von in Bälde drohenden Staatsbankrotten in den Medien auftauchen – die Ukraine ist immer dabei. Wirtschaftlich schwer angeschlagen, politisch zerrissen zwischen den Kräften, die im Westen des zweitgrößten Landes Europas all ihre Hoff­nungen auf die EU setzen, und jenen im Süden und Osten, die tra­ditiona­listi­scher denken und die alte Russlandbindung präferieren, ist die Bevölkerung in ihrer Mehrheit offenbar von den mageren Ergeb­nissen, die die so genannte orangene Revolution 2005 für ihr Leben gebracht hat, enttäuscht. Statt­dessen wächst der Zorn auf korrupte Politiker, die die Interessen der Oligarchen bedienen, und vor allem die Jugend, in der viele einst die größte Hoffnung des Landes sahen, wendet sich zunehmend von den öffent­lichen Belangen ab und versucht, das gesell­schaftlich offenbar nicht Erreichbare auf privat-egois­tischem Wege anzusteuern.

Serhij Zhadans (Jahrgang 1974) sechs neue Erzählungen, vereinigt unter dem ironischen Titel Hymne der demokratischen Jugend, bilden just diese Situation auf bissig-sati­rische Weise ab. Ihr Autor, neben Jurij Andrucho­wytsch der im Moment wohl inter­national bekann­teste ukra­inische Schrift­steller, ist in seiner Heimat vor allem als Lyriker populär geworden. Er zählt zur alternativen Kultur­szene der ost­ukrainischen Metropole Charkiw. Und diese Stadt gibt auch den Hauptschau­platz ab, auf dem Zhadans Figuren sich in ihren unent­wegten Kampf ums Überleben tummeln.

Im Grunde nähert sich, wer sich auf Zhadans ausufernde Erzählwelt ein­lässt, einem Biotop von Verlierern. Dass deren Chancen, zu Reichtum, Ansehen, Ruhm, ja Identität zu kommen, im Grunde nahe Null sind, will freilich niemand wahrhaben. Und so bringen sie alle das Hamster­rad ihres Daseins immer wieder zum Laufen, fassen einen aber­witzigen Plan nach dem anderen. Jedesmal winkt dabei natürlich der ganz große Durchbruch, was sonst. Immer ist man nur eine Handbreit entfernt vom ultimativen business. Doch ehe man noch zugreifen kann, platzt die Sache wieder, erweist sich schluss­endlich als einer jener unzähligen Träume, denen in der Realität so gar nichts entsprechen will.

Was wird da nicht alles gegründet, aus der Taufe gehoben, im Wodka­rausch ersonnen, herbei­philosophiert und schöngeredet: Schwulen­klubs, denen es an Kundschaft gebricht, Beerdigungs­unter­nehmen, die ein Surplus in Form „ritueller Dienstleistungen“ vom Klageweib bis zum Grabstein im Programm haben, und Filmproduktionen, welche den italie­nischen Staat bei seinem Kampf gegen die wachsende Szene von ukrainischen Prosti­tuierten mit Aufklärungs­streifen unterstützen sollen. Keine Geschäftsidee scheint zu abstrus, kein Vorhaben zu risiko­beladen. Praktisch rund um die Uhr sind San Sanytsch, Goga, Slawik und wie des Autors Helden noch alle heißen mögen, unterwegs, um endlich ihr Glück anzupacken und es für immer festzuhalten.

Zhadans Erzählungen, lose miteinander verbunden durch das in ihnen auf­tretende Personal, sind schnell, voller verrückter Einfälle und gefasst in eine Sprache, der man anmerkt, dass ihr Erfinder sich seine Sporen als Lyriker verdient hat. Ganz wunderbar etwa, wie im dritten Text des Bandes, Vierzig Waggons usbekischer Dogen, der Erzähler einen seiner Helden durch einen fahrenden Zug schickt und ihn über fast sechs Seiten hinweg nur die sich mischenden Aromen in den einzelnen Wagen wahr­nehmen lässt. Gelungen viele einprägsame Bilder. Köstlich all jene verdich­tenden Auf­zählungen, die mehr Atmosphäre erzeugen und vermitteln, als es breite Beschreibungs­passagen je vermöchten.

Allein das Lachen, das den Leser während der Lektüre von Hymne der demokratischen Jugend packt, ist kein befreiendes. Denn die Verhältnisse, innerhalb derer hier agiert wird, sind hart. Dass all das sinnlose Sich-Abstram­peln sämtlicher Akteure weder individuelle noch gesell­schaftliche Per­spektiven besitzt, lässt einen an die mythologische Figur des Sisyphos denken. Obwohl es im Grunde vergeblich ist, nimmt der antike Held Anlauf auf Anlauf, um endlich mit der Last seiner Existenz über den Berg zu kommen. Nur glücklich – wie im Zeichen der Annahme seiner absurden Situation einst von Albert Camus postuliert –, glücklich sind Zhadans Steinewälzer wirklich nicht.
Dietmar Jacobsen   06.02.2010   
Dietmar Jacobsen