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Ioana Orleanu
Limesland
Jenseits der Diktatur
In ihrer Erzählung Limesland wirft Ioana Orleanu einen desillusionierten Blick auf das Rumänien nach Ceauçescu und dem gescheiterten sozialistischen Experiment
Kritik |
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Ioana Orleanu
Limesland
Eine Erzählung
Hamburg: tredition 2015
213 Seiten, 9,99 Euro
ISBN 978-3-7323-5302-6
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George Voinea ist ermordet worden. Die rechte Hand des nach der Wende in Rumänien kometenhaft aufgestiegenen Medienmoguls und Finanzmagnaten Horatiu Ploaie lebt nicht mehr. Eigentlich war der Mann schon seit geraumer Zeit von der Bildfläche verschwunden. Ein geplatzter Investmentfonds, dem die Ersparnisse von Hunderttausenden zum Opfer fielen, hatte ihn, bevor ein Gericht ihn endgültig verurteilen konnte, zur Flucht ins Ausland gezwungen. Doch nun beschäftigt die Bukarester Polizei die Frage, warum Voinea zurückgekehrt ist. Wollte er auspacken, sein Gewissen erleichtern? Und wer hatte ein Interesse daran, ihn für immer zum Schweigen zu bringen?
Ioana Orleanus Erzählung Limesland beginnt wie ein Kriminalroman. Ein Kommissar und ein Unterkommissar treten auf, ein Tatort wird inspiziert, ein bis zur Unkenntlichkeit verstümmelter Leichnam zur Obduktion in die Gerichtsmedizin verbracht. Die Polizei gibt sich Mühe bei der Tätersuche – bis die Identität des Opfers feststeht. Dann geht auf einmal nichts mehr. Und als ein Minister die Akten des Falles für immer schließen lässt, scheint die für viele unangenehme Sache endgültig aus der Welt geschafft.
Doch George Voineas älterer Bruder Alexandru gibt keine Ruhe. Zusammen mit der Journalistin Maria Nancovici macht er sich auf die Suche nach dem Geheimnis hinter dem gewaltsamen Tod Georges und den Tätern, die er von Anfang an in der Umgebung des seine Macht so bedenken- wie skrupellos ausspielenden Horatiu Ploaie vermutet. Und von hier an wird das Buch der 1964 geborenen, in Rumänien und Deutschland lebenden Autorin und Übersetzerin Ioana Orleanu zu einer radikalen Abrechnung mit einem Land, in dem man nach dem Scheitern des sozialistischen Experiments unter dem berüchtigten Diktator Ceauçescu offenbar vom Regen in die Traufe gekommen ist.
An wen sich Voinea und Nancovici auch wenden, wo sie auch suchen, wen immer sie um Unterstützung bei ihrem Vorhaben, die Wahrheit über Leben und Tod eines Mannes, der ganz nahe den Leuten gelebt hat, die im Nachwenderumänien die Macht an sich gerissen haben, um Hilfe bitten – sie stoßen auf nichts als ein undurchdringliches Lügengespinst, zusammengehalten durch Korruption und Cliquenwirtschaft, gegenseitige Abhängigkeiten und schmierige Speichelleckerei.
Die in den Jahren des Staatssozialismus erworbene Fähigkeit, „den Rücken zu krümmen“, steht mehr denn je hoch im Kurs. Und wer den Sinn des neuen Lebens in „Haben und Zeigen“ sieht – „Große Autos, große Häuser, teuerste Designerklamotten, Schmuck, exklusive Clubs, exklusive Reisen – besitzen, genießen, konsumieren, alles, sofort [...]“ –, ist gezwungen, sein soziales Gewissen auszuschalten und die Augen zu verschließen vor der Armut und dem Schmutz, die nach der Wende keineswegs weniger geworden sind.
Orleanus Helden gehören dazu, sind Teil der „besseren Gesellschaft“, gut vernetzt, mit den maßgeblichen Leuten auf Du und Du. Sie werden eingelassen in die Zirkel derer, die das Sagen haben. Man versucht, sie zu korrumpieren, ihr kritisches Bewusstsein zu betäuben. Auf ihrer Reise durch ein Land, das nominell zu Europa gehört, müssen sie immer wieder feststellen, dass Europa als Idee für viele nur ein Traum ist und wohl auch lange noch bleiben wird: „Kommt mir nicht mit Europa, Europa ist ein Märchen. Das hier ist unsere Realität und sie hat ihre Gesetze, ihren Lauf, krumm und verkrümmend, die Körper verrenkt, die Rücken gebeugt, Bechterew als Volkskrankheit, man kriecht in dem Staub und verkauft sich, das tut not, ständig, nur so ist etwas zustande zu bringen, selbst das Geringste.“
Limesland nimmt seine Leser mit in ein Rumänien, in dem die Geister der jüngeren Vergangenheit noch nicht ausgespukt haben. Alte Seilschaften funktionieren weiterhin, einst verhasste Geheimdienstmitarbeiter haben neue Tätigkeitsbereiche gefunden, an die Stelle eines autoritären Schein-Sozialismus ist die nicht minder autoritäre Macht der Kirche getreten und mit der Wahrheit nimmt es nach wie vor niemand so genau. Wer es geschafft hat nach der Wende, musste dafür mit seiner persönlichen Integrität bezahlen. Und unter denen, die es nicht geschafft haben, ein neues Leben zu beginnen, grassiert die Mär vom zu Unrecht verteufelten Sozialismus, zu dem man nur allzu gern zurückkehren möchte.
Ioana Orleanu erzählt in einer poetischen Sprache und mit zwei Helden, die nicht so sein wollen wie alle, am Ende aber auf sich selbst zurückgeworfen werden, weil sie der Realität zwar trotzen können, sie aber letztlich kaum zu ändern vermögen.Gelegentlich verzettelt sich das Buch etwas auf polemischen Nebenkriegsschauplätzen, was die Handlung nicht voranbringt. Und ab und zu wäre auch die korrigierende Hand eines Lektors vonnöten gewesen. Insgesamt aber versteht es die Autorin, ihren Lesern einen Einblick in das Leben im heutigen Rumänien zu geben, wo das Neue noch allzu oft in der Maske des Alten daherkommt und bei jenen, deren Hoffnung auf ein besseres Leben sich bisher nicht erfüllte, zunehmend Frustrationen erzeugt.
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