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Thomas Bernhard
Goethe schtirbt | Der Wahrheit auf der Spur | Der Briefwechsel
Alles Grausen kommt aus dem Applaus
Neue Bücher aus dem Literaturkosmos Thomas Bernhards, der am 9. Februar dieses Jahres 80 Jahre alt geworden wäre
Kritik |
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Thomas Bernhard
Goethe schtirbt
Erzählungen
Suhrkamp 2010
103 Seiten | 14,90 Euro
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1.
Am 9. Februar dieses Jahres wäre Thomas Bernhard 80 Jahre alt geworden. Als der im niederländischen Heerlen Geborene am 12.2.1989 verstarb, verlor die deutschsprachige Literatur des 20. Jahrhunderts mit ihm einen ihrer eigenständigsten, aber auch eigenwilligsten Autoren. Man konnte von Bernhard halten, was man wollte – und in der Tat wäre die ganze Palette von tiefster Verehrung bis zu abgründigem Hass an dieser Stelle herbeizitierbar –, kalt gelassen hat er sicher keinen. Nicht die, die ihn lasen, und schon gar nicht jene, die ihn nicht lasen, aber nur zu gern eingespannt hätten für ihre Zwecke. Zum Jubler im Dienste eines Landes, dem er in Haßliebe zeitlebens eng verbunden war, ließ Thomas Bernhard sich freilich nie machen.
Viel lieber düpierte er seine Landsleute in seinen Erzählungen, Romanen und Theaterstücken mit der Botschaft, dass „Aufwachen in Österreich“ immer bedeute, „in eine stickige Atmosphäre der Geistfeindlichkeit und der Gefühlsroheit hinein auf(zu)wachen, in Stumpfsinn und Niedertracht“ ( Zum österreichischen Nationalfeiertag 1977). Und nie müde wurde er es, den Heldenplätzlern ihr Heldentum unter die Nase zu reiben, den Zusammenhang zwischen miefigem Kleinbürgertum, katholischer Religion und brauner Gesinnung zu betonen. Dass er dabei vor keiner Übertreibung zurückschreckte, wenn seine Suaden erst einmal in Gang gekommen waren, lässt fast vermuten, dass ihm der Fall Fritzl, wäre er zu Bernhards Lebzeiten ruchbar geworden, zu gewiss nichts Geringerem getaugt hätte als zu einer saftigen Allegorie auf die Heimat, die sich so schwertat mit ihm.
Rund um den 80. Geburtstag Bernhards herum hat sein deutscher Hausverlag eine Reihe von Büchern herausgebracht, die nicht nur näher heranführen an Leben und Werk eines Monomanen der Sprache, sondern auch Lust machen, das umfangreiche epische, dramatische und lyrische Werk eines Autors von bleibendem Rang wieder-, ja hoffentlich auch neu zu entdecken.
2.
Die unter dem Titel Goethe schtirbt veröffentlichten vier Erzählungen aus den Jahren 1982 bis 1984 wollte Bernhard schon zu Lebzeiten in einem Büchlein zusammengefasst wissen. Als er sich mit seinem Verleger Siegfried Unseld Mitte Januar 1985 in Wien traf, äußerte er diesen Wunsch ohne zu wissen, wie viel Lebenszeit ihm noch bleiben und dass ein Gutteil seiner Kraft in diesen wenigen Jahren von seinem das Gesamtwerk krönenden Roman Auslöschung und dem skandalträchtigen Theaterstück Heldenplatz in Anspruch genommen werden würde. Deshalb hat es knapp 25 Jahre gedauert, bis der Leser nun dem einst Verstreuten – zwei der Texte stammen aus der Hamburger ZEIT, die anderen beiden erblickten das Licht der Welt zuerst in einem Ausstellungskatalog und in einem Theater-Programmheft – an einem Ort versammelt begegnen kann. Da es sich durchweg um „späte“ Texte handelt, wundert es nicht, in ihnen nicht nur dem mittlerweile klassisch gewordenen Bernhard-Ton, sondern auch den wichtigsten Themen und Motiven des reifen Autors zu begegnen.
Trotzdem habe ich das schmale Bändchen ein wenig enttäuscht aus den Händen gelegt. Denn man merkt den vier Erzählungen ihren „Gelegenheitscharakter“ durchaus an. Wie schwache Echos begleiten sie das Hauptwerk. Was dort mit Verve und Wut vorgetragen wird, verläppert hier ein wenig bemüht und mit reichlich schwachen – weil den vorhergehenden theatralischen Effekt praktisch wieder aufhebenden – Pointen. Dass Goethes letzte Worte „Mehr nicht!“ und nicht das von seinem Leibarzt überlieferte „Mehr Licht!“ gewesen seien, hat man schon anderswo gelesen. Den Österreich-Schmäh aus dem Reisebericht an einen einstigen Freund, wie die vierte Erzählung, In Flammen aufgegangen, untertitelt ist, genießt man besser in seiner ausführlicheren Form in Werken wie Alte Meister oder dem berühmten Ohrensessel-Monolog aus Holzfällen. Eine Erregung. Und die Begegnung zwischen Goethe und Ludwig Wittgenstein – zwischen dem Todesjahr des einen und dem Geburtsjahr des anderen liegen 57 Jahre – führt auch nicht unbedingt zu neuen Erkenntnisssen über den, der die beiden sich begegnen lässt.
Alles in allem resultiert die Schmallippigkeit des Rezensenten, nachdem er das Buch gelesen hatte, sicher daraus, dass er sich von den vier Erzählungen neue Aufschlüsse erhoffte, Weitergehendes sozusagen. Aber wo Bernhard draufsteht, ist halt nichts anderes drin als Bernhard. Und Bernhard ist eindeutig drin in Goethe schtirbt. Nicht mehr. Aber auch nicht weniger. Nur: Wenn Bernhard nicht geschtorben wäre – hätte er dann heute immer noch auf der Publikation dieser Texte bestanden?
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Thomas Bernhard
Der Wahrheit auf der Spur:
Die öffentlichen Auftritte:
Reden, Leserbriefe, Artikel
Suhrkamp 2010
344 Seiten | 19,90 Euro
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3.
Erstmals zwischen zwei Buchdeckeln versammelt, dokumentieren die 72 Texte des Bandes Der Wahrheit auf der Spur das Wirken des „Öffentlichkeitsarbeiters“ Bernhard. Reden, Leserbriefe, Interviews und Feuilletonbeiträge begleiten seit der Mitte der 50er Jahre regelmäßig sein schriftstellerisches Werk. Nun sind sie in chronologischer Folge, sparsam, aber ausreichend kommentiert, nachlesbar.
Den Band eröffnet ein am 9. November 1954 im Salzburger Hotel Pitter vom so genannten „Bergen-Kreis“ organisierter Vortrag Bernhards anlässlich des 100. Geburtstages von Jean-Arthur Rimbaud. Die Quintessenz des kleinen, sich an Rimbauds Biografie entlangarbeitenden Textes klingt so, als könnte der sein Brot damals hauptsächlich mit journalistischen Arbeiten verdienende Laudator bereits einen Blick in die eigene Zukunft tun. „Es müssen immer etliche Tausend Bücher herausgestampft werden, ehe die Maschine einmal einen solch elementaren Ruck macht, und uns eins, wenn auch nur ein bedeutendes Werk der Weltliteratur liefert“, heißt es da – und bereits in dieser frühen Arbeit bekommen „die Zeitschriftendichter und die Exportartikler der Literatur, die es auch zuweilen zum Nobelpreis bringen“, ihr Fett ab.
Der Weg von diesem Beitrag bis zu dem Leserbrief Bernhards an die Salzkammergut-Zeitung Gmunden vom 12. Januar 1989 – genau einen Monat vor dem Tod des Autors -, mit dem der Band schließt, verläuft relativ geradlinig. Geht es in den ersten Artikeln nicht ganz so austrophob zu, wie man das vom späten Bernhard kennt, so muss der Leser nur knappe drei Dutzend Seiten zuwarten, ehe er sich an der ersten, Österreich in toto attackierenden Philippika erfreuen kann. Sie findet sich in dem Text Politische Morgenandacht, geschrieben 1966 für die Wiener Zeitschrift Wort in der Zeit, und hebt an: „Auf der Öde der Republik herrschen abwechselnd unter den entsetzlichsten und perfidesten Geistzuständen die Niedertracht und der Stumpfsinn.“ Fortan ist er da, der berühmt-berüchtigte Bernhard-Sound mit seinen Invektiven und Übertreibungen, eingebettet in Sätze, die sich immer mehr in sich verschachteln und kein Ende nehmen wollen. Wer den Autor nun noch einlud, seine Meinung darzulegen zu öffentlichen Fragen seines Heimatlandes, wer ihm jetzt noch Preise auszuhändigen gedachte mit dem Hintergedanken, nicht nur den Geehrten, sondern auch den Ehrenden ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken, durfte getrost davon ausgehen, dass es knüppeldick kommen würde.
Der Wahrheit auf der Spur dokumentiert in diesem Zusammenhang auch die skandalmachenden Dankesreden, denen sich das 2009 bei Suhrkamp aus dem Bernhard-Nachlass herausgegebene Bändchen Meine Preise. Eine Bilanz aus anderem Blickwinkel nähert, indem es die Geschichten rund um die Versuche erzählt, Bernhard in den „normalen“ Literaturbetrieb einzugemeinden. Und fast wundert es einen heute, wenn man sieht, wie wenig es eigentlich manchmal brauchte, um die kulturellen und sonstigen Gralshüter seines Heimatlandes gehörig aus der Fassung zu bringen.
Andererseits liest es sich dann aber auch wieder hoch amüsant, wenn einer, der sich mit Schmähungen weiß Gott nie zurückhielt, geradezu sensationell dünnhäutig reagierte, stand sein eigenes Werk in der öffentlichen Diskussion. „Mein nächstes Buch lassen Sie bitte gleich von einem natürlich auch in Oberösterreich geborenen und ansässigen Schimpansen oder Maulaffen besprechen“, teilt er 1967 so kurz wie lapidar den Verantwortlichen des Hamburger SPIEGEL mit, die den Roman Verstörung Bernhards Landsmann Herbert Eisenreich zur Rezension anvertraut hatten.
Immer mit Verve und an keiner Stelle langweilig werdend, gibt der Band Einblicke in Bernhards Denken, macht Traditionen deutlich, in denen der Dichter sich selbst und sein Werk stehen sah, und führt auf einer anderen Bühne den Kampf fort, den seine literarischen Texte aufgenommen hatten.
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Thomas Bernhard / Siegfried Unseld
Der Briefwechsel
Herausgegeben von Raimund Fellinger, Martin Huber und Julia Ketterer
Suhrkamp Verlag 2011
Tb 869 Seiten, 18,- Euro
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4.
Der Briefwechsel Thomas Bernhards mit Siegfried Unseld, seit Neuestem in einer preiswerten Taschenbuchedition greifbar (die Originalausgabe erschien 2009), stellt für mich nun allerdings den einsamen Höhepunkt in der aktuellen Bernhard-Bücherflut dar. Man kann ihn fast lesen wie einen Roman – einen Bernhard-Roman, versteht sich. Denn auch in seiner Korrespondenz mit dem Mann, in dessen Verlag das Gros seiner Werke seit den frühen 60er Jahren erschienen ist, findet sich kaum ein Hinweis darauf, dass sich hier einer Zurückhaltung auferlegte. Nein, Bernhard bleibt Bernhard, im Geschäftlichen wie im Privaten. Und so dokumentieren die insgesamt 524 Schriftstücke – Briefe, kurze Billetts, Postkarten und Telegramme – das jahrzehntelange Ringen zweier starker Persönlichkeiten um ein Werk, dass heute vielleicht anders aussähe, hätte es nicht jenes geistige Spannungsfeld passieren müssen, in das die Leser von diesem fast 900 Seiten dicken Buch fasziniert hineingezogen werden.
Denn keineswegs war es immer angenehm für den Frankfurter Verleger, einen Autor wie Thomas Bernhard bei der Stange halten zu müssen. Einen, der sich gewöhnlich übervorteilt fühlte, den schon ein winziger, vom Suhrkamp-Lektorat übersehener Druckfehler auf die Palme bringen konnte und dessen seltene Stimmungshochs innerhalb kürzester Zeit in tiefste Melancholie und Weltverdrossenheit abstürzen konnten.
Natürlich geht es auch immer um Geld, wenn ein Autor mit seinem Verleger korrespondiert – und Bernhard kannte seinen Preis ziemlich gut und dachte nicht daran, sich billig herzugeben. Aber so oft das Pekuniäre auch auftaucht auf den Seiten dieses Briefwechsels, der Horizont, der sich dem Leser hier eröffnet, geht dennoch weit darüber hinaus. Wie auf einer Bühne sieht man sie mit- und gegeneinander ringen – den monomanischen Autor, der glaubt, die ganze Welt in ihrer unfassbaren Dummheit und Ignoranz habe sich gegen ihn allein verschworen, und den um Fassung und Geduld ringenden Grandseigneur, dem sein Verlagsunternehmen über alles geht und der in dessen Interesse so viel Toleranz aufbringt, dass es manchmal schier unfassbar ist.
Bis eben auch einem Unseld die Argumente ausgehen und er in seinem letzten Telegramm vom 24. November 1988 erschöpft (und tief enttäuscht darüber, dass Bernhard seine autobiografischen Schriften nicht bei Suhrkamp erscheinen lassen will) mitteilt: „ ... fuer mich ist eine schmerzensgrenze nicht nur erreicht, sie ist ueberschritten ... ich kann nicht mehr. ihr siegfried unseld“ Bernhard antwortet auf dieses Signal eines endgültigen Bruchs schon einen Tag später so, wie er muss: “Lieber Siegfried Unseld, wenn Sie, wie Ihr Telegramm lautet, ›nicht mehr können‹, dann streichen Sie mich aus Ihrem Verlag und aus Ihrem Gedächtnis. Ich war sicherlich einer der unkompliziertesten Autoren, die Sie jemals gehabt haben ...“
Es ist dies nicht das letzte Wort zwischen den beiden – ein Treffen in Salzburg Ende Januar in Bernhards Sterbejahr sollte es noch geben –, aber zu alter Vertrautheit wie in ihren besten, wenn auch raren Momenten finden Unseld und sein Autor nicht zurück.
Zeitweise fühlt man sich bei der Lektüre dieses einzigartigen Dokuments ins Zeitalter der griechischen Heroen zurückversetzt. Da scheint es um nichts Geringeres zu gehen als um die letzten Gründe, die tiefsten Wahrheiten, die hehrsten Ziele. Und keiner ist bereit, auf seinem Weg auch nur einen halben Schritt zurückzuweichen. Wie man ihn auch ansonsten kennt, schießt Bernhard gelegentlich weit über sein Ziel hinaus, lässt sich von heiligem Zorn erfassen, verletzt mit seinen Vorwürfen. Aber er darf immer darauf rechnen, so gespannt sich das persönliche Verhältnis auch gerade darstellt, dass Siegfried Unseld sich mit ihm solidarisch erklärt, wenn sich wieder einmal die ganze Welt gegen ihn verschworen zu haben scheint.
Der Briefwechsel wäre um einiges schmaler ausgefallen, hätten die Herausgeber sich bei den Fußnoten, die die Mehrzahl der publizierten Texte erläuternd begleiten und in etlichen Fällen mehr Platz beanspruchen als das entsprechende Dokument selbst, ein wenig Zurückhaltung auferlegt. Nicht alles muss, ja will man wirklich wissen. Das Unternehmen selbst freilich verdient mehr als Respekt und wird bleiben als ein Stück lebendige Literatur- und Kulturgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
5.
Eine Bemerkung zum Schluss: Ist man heutzutage – wie der Autor dieser Zeilen – regelmäßig Gast in deutschen Schulen, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dort, wo die Bernhard-Leser der Zukunft ihre Initiation in das Werk dieses zornigen Anredners gegen das Bestehende erleben müssten, habe man bereits halbwegs kapituliert vor dem Österreicher. Zu schwierig. Zu jugendfern. Sprachlich zu komplex. Gedanklich zu sehr ausschweifend. Das bekommt man unter anderem zu hören, wenn man sich dafür interessiert, welche Rolle die Stücke und Dramolette, Romane, Erzählungen und Erzählskizzen Thomas Bernhards heute im Literaturunterricht spielen . Von seiner Lyrik ganz zu schweigen. Schlink, unbedingt. Böll, aber sicher. Bernhard – naja.
„Alles Grausen kommt aus dem Applaus“, heißt es in einem Gespräch mit Asta Scheib aus dem Jahr 1987, nachzulesen in dem Band Der Wahrheit auf der Spur. Zustimmung klatschende, begeisterte Menschenmassen, inmitten derer der Einzelne seine Stimme verliert, waren Thomas Bernhard zeitlebens ein Horror. Erinnerten ihn an Marschmusik, Gleichschritt und den Verzicht auf das eigene Denken – alles Dinge, aus denen nach seiner Meinung nichts als Unheil entstehen konnte. Und trotzdem, bei aller – zu einem Gutteil auch theatralischen – Verachtung seines Publikums, war sich der Autor immer bewusst: „Der Mensch lechzt von Natur aus nach Liebe, von Anfang an. Nach Zuwendung, Zuneigung, die die Welt zu vergeben hat.“
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