Letzteres wird er noch oft tun. Zwanghaftes Waschen ist sozusagen das Leitmotiv des Buchs. Bezeichnenderweise werden dazu Restbestände einer DDR-Schönheitsseife namens Lilienmilch benutzt, deren billig-süßlicher Geruch jeden anderen abstößt. Für Albert hingegen ist das Produkt des untergegangenen Landes, von dem er noch einen ganzen Karton in seinem Büro aufbewahrt, genau das Richtige. Denn was ihm anhängt und sich auch durch ständiges Waschen nicht entfernen lässt, ist sein altes Leben in ebenjener DDR. Hier liegt der Kern des Problems, aus dem bald ein psychischer Ausnahmezustand, ja ein Wahn wird. Denn obwohl Albert sein Heil zunächst im Ausweichen sucht, im Vermeiden der sofortigen Konfrontation mit dem Damals, kann er doch nicht aufhören, an den Freund und alles, was sie einst verband, zu denken. Und auch sein ganzes Tun – mühsam hat er sich vom Lederdesigner eines Volkseigenen Betriebes nach der Wende umschulen lassen zum inzwischen gut beschäftigten, auf eigene Rechnung arbeitenden Werbegestalter – wird nur allzubald bestimmt vom Drang herauszubekommen, ob aus dem Gymnasiasten Wilhelm, der die DDR noch vor deren Zusammenbruch verließ, tatsächlich der Schriftsteller geworden ist, der er immer werden wollte. Bald stapeln sich auf seinem Bürotisch des alten Freundes inzwischen erschienene Bücher und manisch beginnt der Erzähler, in ihnen nach den Spuren der Vergangenheit zu suchen. Geschickt jongliert Michael G. Fritz mit seinen beiden Erzählebenen. Was Albert in Wilhelms Texten zunächst weitgehend vergeblich sucht, ein künstlerisches Abbild ihrer gemeinsamen Welt vor 30 Jahren, holt sein unablässig die Vergangenheit umkreisendes Denken dennoch für den Leser in den Roman hinein. Und so erfahren wir von einer Dreiecksgeschichte, die sich in den späten 60er Jahren abspielte. Der Prager Frühling weckte in jener Zeit Hoffnungen auf einen anderen Sozialismus, einen, der lebenswert gewesen wäre. Groß ist deshalb der Informationshunger, den die Jungen durch häufige Besuche des Kulturzentrums der Tschechoslowakei in Berlin zu stillen versuchen. Noch größer freilich scheint ihre Leidenschaft für das Mädchen Bettina zu sein, mit dem sie ihre Freizeit teilen. Die kann sich zwischen den beiden Brüdern im Geiste nicht sofort entscheiden, doch ein dummer Zufall bewirkt schließlich, dass es Wilhelm ist, der den Rivalen bei ihr aussticht. Allein das könnte dem Erzähler nach so vielen Jahren eigentlich egal sein. Wilhelms Verhältnis mit Bettina hat, obwohl sie ein gemeinsames Kind besitzen, ohnehin nicht lange gehalten. Und Albert lebt inzwischen längst in einer festen Beziehung mit der Galeristin Karola, einer Frau, die mit beiden Beinen im Leben steht und dem etwas labileren Partner in der Regel den Halt gibt, den er bei sich vergeblich sucht. Warum also nachtragend sein und sich mit Händen und Füßen gegen die Chance wehren, die ein Wiederaufleben der einstigen engen Bande bieten könnte. Kaum überraschend für den Leser ist deshalb die Entdeckung, dass es da noch etwas anderes gibt, das Albert kaum sich selbst gegenüber zuzugeben bereit ist. Es ist ein Verrat, fast unbewusst in einem Gespräch mit der Staatssicherheit an dem Freund begangen und diesem in der Konsequenz alle Chancen nehmend in einem Land, auf dessen Fahne Handwerkszeug inmitten dreier Farben prangte. Ein Verrat, über den nie gesprochen wurde, der aber sofort wieder präsent ist, als Albert Wilhelm gegenübersteht. Und ein Verrat, der dreißig Jahre später alles Handeln des Protagonisten bestimmt, ihn isoliert, blockiert und in Wahnvorstellungen treibt, bis die Katastrophe nicht mehr aufzuhalten ist und sich – mit geradezu tragischer Folgerichtigkeit – wiederholt, was schon einmal geschah. Geradezu überwältigend an den Rivalen ist übrigens die Sprache. Selten erlebt man so sinnliches Erzählen in der deutschen Gegenwartsliteratur. Und meisterhaft verrät sich in den feinen Schwingungen der inneren Monologe Alberts dessen zunehmende seelische Panik. Strukturell zerfällt das Buch in neun größere Teile, deren jedem sich zwischen drei und sechs kurze Erzählabschnitte zuordnen. In diesen wird zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin- und hernavigiert. Und nicht selten kreist solch ein kurzes Unterkapitel um nichts als ein Gefühl, geht dessen Nuancen nach, bringt es metaphorisch auf den Punkt, kostet seine ganze Spannweite atmosphärisch aus. Das ist atemberaubend und reißt den Leser in einen Erzählsog hinein, in dem seine bangen Gefühle immer ein wenig Vorsprung haben vor den lesenden Augen und dem verarbeitenden Intellekt. Dem mit einem großzügigeren Satzspiegel ein wenig die Hast zu nehmen, hätte dem Text gut angestanden. Es ist aber auch das Einzige, was kritisch anzumerken wäre zu einem beeindruckenden Buch, dem man viele, viele Leser wünscht.
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Dietmar Jacobsen
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