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Burkhard Spinnen
Nevena

Der Barbar und die Zauberelfe

In seinem neuen Roman Nevena erzählt Burkhard Spinnen von der Liebe in den Zeiten von Cyberspace und sozialen Netzen

  Kritik
  Burkhard Spinnen
Nevana
Roman
Schöffling & Co. 2012
381 Seiten, 19,95 Euro


Eigentlich ist Patrick Ehling ein ziemlich normaler Junge. Und zu normalen jungen Männern um die 16/17 Jahre gehört heut­zutage offe­nbar, dass sie einen Teil ihrer Zeit in Welten ver­bringen, die ihnen Aben­teuer bieten, welche ihre durch­rationali­sierte Lebens­umgebung schon lange nicht mehr im Angebot hat. Da sitzen sie dann in ihren Zimmern an PC oder Spiele­konsole und kämpfen sich Level um Level durch aus winzigen Pixeln er­richtete Fabel­kulissen, lösen stunden-, ja tagelang Aufgaben, die ihre Fantasie beschäftigen und das gute Gefühl vermitteln, die Dinge, wenn man nur den richti­gen Schlüssel zu ihnen findet, im Griff zu haben. Den Eltern dieser Jugend­lichen ist bei der ganzen Sache in der Regel nicht so wohl. Abgesehen davon, dass ihnen nur allzuhäufig der Zugang zu den virtuellen Schauplätzen, auf denen sich ihre Kinder tummmeln, fehlt, ist auch die Furcht groß, dass Ego-Shooter-Spiele und Ähn­liches die Nachkommen emotional ver­rohen und all­gemach zu sozial isolierten Zombies werden lassen könnten.

Nun müsste sich Patrick Ehlings Vater Henner nicht unbedingt Sorgen machen. Denn was sein 17-jähriger Sohn da im Cyber­space treibt, ist nichts Indiziertes, sondern nur ein am erfolgreichen Multi­player-Online­game „World of Warcraft“ sich orien­tierendes virtuelles Rollenspiel. Und er spielt es nicht allein, sondern hat eine Part­nerin gefunden, mit der zu­sammen er sich den schwierigen „Couple-Quests“ stellen kann, Aufgaben, die nur zwei Spieler im Team zu lösen vermögen. In den vielen Stunden, in denen die beiden als Barbar und Zornelfe – wobei bezeich­nender­weise das Mädchen den Barbaren und Patrick die mit Zauberkräften aus­gerüs­tete Elfe steuert – sich mit Hydras und Orks herum­geschlagen haben, hat sich sogar so etwas wie eine persön­liche Beziehung zwischen der Serbin Nevena und dem nahe Frankfurt lebenden Gymna­siasten ent­wickelt. So dass es umso unverständ­licher ist, dass das Mädchen Patrick eines Tages mitten im Spiel sitzen lässt.

Von da an wird aus dem Roadmovie durch die Fantasie­kulissen des Spiels eine Reise, die Vater und Sohn gemein­sam auf der Suche nach der geheimnisvollen Nevena bis ins bos­nische Sarajewo führt. Henner Ehling nämlich lässt sich die Chance nicht entgehen, sich seinen an ein Computer­spiel verloren geglaubten Sohn zurück­zuerobern, indem er ihm an­bietet, eine Dienst­reise, die den Restau­rator nach Triest führt, zu einer kleinen Balkan­spritz­tour aus­zuweiten. Dass man nach Anfangs­schwierigkeiten dann das alte Wohn­mobil, mit dem die an Krebs ver­storbene Mutter Astrid die Familie über Jahre hinweg durch halb Europa kutschiert hat, wieder flott macht, gibt der Unter­nehmung sogar noch ein emo­tionales Surplus. Sie erscheint damit nämlich auch als der am Ende glückende Versuch der Wieder­her­stel­lung von Familien­banden, die sich mit dem Tod der wichtigsten Bezugs­person von Vater und Sohn gelockert hatten.

Leiden sowohl Henner wie auch Patrick Ehling offensichtlich anfangs unter zu wenig Familiarität, hat Nevena davon fast zu viel. In langen Mails führt sie ihren deutschen Vertrauten in die Geschichte und die Geschichten ihrer zahlreichen, über den Balkan verteilten Verwandtschaft ein. Fast eine Ersatz­familie sind all die Onkel und Tanten, Neffen und Nichten des Mädchens aus Belgrad für den Jungen geworden, der sich nach dem Tod seiner Mutter immer weiter aus der Realität zurückgezogen hatte. Und die elek­troni­schen Nachrichten bieten auch Anhaltspunkte dafür, wie man einer Person, von der man nichts weiter kennt als den Vornamen, auf die Sprünge kommen kann.

Dass am Ende alles anders ist, als es zunächst den An­schein hat, und die ge­suchte Nevena erst einmal in immer weite­re Ferne rückt, ehe sie Patrick plötzlich so nahe kommt, wie der sich das nie hat vor­stellen können, ist eine Geschichte, die Burkhard Spinnen mit großer Sympa­thie für seine Figu­ren, einer manchmal vielleicht ein bisschen zu weit gehenden Detail­ver­sessen­heit und viel Gespür für die un­glück­liche Geschichte der Balkan­völ­ker in den Trans­formations­pro­zes­sen nach 1989 zu erzählen weiß.

Nevena wendet sich wohl in erster Linie an jugend­liche Leser, obwohl das Buch das nicht explizit ausweist. Deshalb sind ein paar Über­didakti­sierungen sowohl erklär- wie auch ver­steh­bar. Ausge­sprochen geschickt frei­lich ist es, wie Spinnen Reales und Vir­tuelles mit­einander in Beziehung bringt, wie er die Übergänge aus der Welt des Spiels in die manchmal blutigen Spiele der Welt meistert. Und wie er letzten Endes einer kleinen Familie, die sich nach einem Schicksals­schlag langsam wieder zusammen­gerauft hat, mit der jungen Nevena eine Aufgabe überantwortet, die man nur gemeinsam lösen kann.

Weitere Rezension zu Burkard Spinnen: Auswärtslesen

Dietmar Jacobsen   05.01.2013   

 

 
Dietmar Jacobsen