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Irena Brežná
Die undankbare Fremde
„Die Wohnung, die Sprache, die Arbeit ...“
Irena Brežná erzählt in ihrem poetischen kleinen Roman Die undankbare Fremde von Weggehen und Ankommen, Heimat und Fremde, Kälte und Geborgenheit
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Irena Brežná
Die undankbare Fremde
Roman
Berlin: Galiani 2012
141 Seiten, 16.99 Euro
ISBN 978-3-86971-052-5
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1968 kommt eine vierköpfige slowakische Flüchtlingsfamilie in der Schweiz an. Das gewaltsame Ende des Prager Frühlings hat sie zu Emigranten werden lassen. Nun stehen sie vor einem kompletten Neubeginn, den die Tochter, die Irena Brežná in ihrem kleinen Roman Die undankbare Fremde sprechen lässt, zunächst als einen Akt der Verstümmelung erlebt. Die vertrauten „Flügel und Dächlein“, also jene diakritischen Zeichen, die die Aussprache bzw. Betonung von Buchstaben regeln, werden ihrem Familiennamen weggenommen. Und auch auf die „runde, weibliche Endung“ muss sie in Zukunft verzichten – ab sofort trägt sie, den Schweizer Gepflogenheiten gemäß, den hart auslautenden Familiennamen von Vater und Bruder. Für den Beamten, der die Personalien der Asylsuchenden aufnimmt, ist das, was deren sprachliche Identität ausmacht, sowieso nichts als „Firlefanz“. Für die junge Erwachsene selbst aber beginnt das Leben in dem fremden Land mit einem schmerzlichen Verlust.
Nachdem sie mit ihrem Roman Die beste aller Welten (2008, Edition Ebersbach) ihre Kindheit in der sozialistischen Tschechoslowakei der 50er / 60er Jahre aufgearbeitet hat, liegt mit Die undankbare Fremde nun ein Werk vor, in dem die 1950 in Bratislava geborene Irena Brežná vom Heimischwerden in einem anderen Kulturkreis erzählt. Mit der Emigration endet für ihre Heldin nicht nur deren Kindheit auf radikale Weise – der Neubeginn in der Schweiz wird für die ganze Familie zu einem Balanceakt zwischen Tradition und Gegenwart, Anpassung und Widerstehen, Bewahren und Vergessen. Der kleine Roman erzählt diesen Prozess in kurzen, streiflichtartigen Szenen, überhöht durch seine poetische Sprache den Einzelfall ins Allgemeine und kontrastiert die Geschichte einer letztlich gelingenden Migration durch Begegnungen der später als Dolmetscherin arbeitenden Erzählerin mit Figuren, denen das Hineinfinden in eine neue Identität aus den unterschiedlichsten Gründen nicht so leicht gelingt.
Wie soll man eine Fremde annehmen, die sich als „gepflegte Leere“ erweist? In der man ständig gemaßregelt und ermahnt wird, passt man sich den Gepflogenheiten, die hier herrschen, nicht an? Wo überall Verbotsschilder stehen und die Einheimischen sich hinter ihrem Dialekt verstecken? Und verklärt sich nicht die alte Heimat, in der man bitteres Leid zu erdulden hatte, angesichts der Tatsache, dass es dort zwischen Mensch und Mensch keine unüberwindbaren Grenzen gab, man trotz aller Unfreiheit in einer Gemeinschaft lebte und darin wärmende Nähe empfand?
Irena Brežnás Erzählerin lehnt sich gegen die Sterilität eines Daseins auf, in dem ihr die Luft zum Atmen fehlt. Sie benennt genau, was sie stört am Leben in einem Land, das aus der Ferne so verheißungsvoll leuchtete. Und sie macht nicht mit bei Dingen, die sie in ihrer Persönlichkeit einschränken. Stehen die einheimischen Frauen still dabei, wenn ihre Männer reden und Entschlüsse fassen, öffnet sie den Mund und widerspricht. Erwartet man von ihr ein Leben nach Plan und Uhr, kontert sie die monotonen Abläufe mit ihrer Spontaneität. Und in ganz verzweifelten Situationen greift sie auf das zurück, was sie als ihr bestes Erbe aus sozialistischen Tagen begreift – den ausgeprägten Hang zu Witz, Spott und Ironie, um an den Verhältnissen nicht zu zerbrechen.
Mit Heiterkeit reagiert die namenlos bleibende Erzählerin etwa, wenn das in der Diktatur so vermisste demokratische Mitbestimmungsrecht plötzlich darin besteht, dass stundenlang darüber diskutiert wird, wer „neuer Beauftragter für das Hinaustragen vom Abfall“ werden oder ob der Kellerschlüssel zur Unterscheidung von allen anderen mit einer roten Schleife versehen werden sollte. Ihr als „diktatorisch Geschädigte(r)“ ist in solchen Situationen immer danach, „durchzugreifen, eine Entscheidung zu fällen, die Bremsen abzumontieren, der Sache Schwung zu geben.“ Denn sie weiß: Es gibt wichtigere Dinge, für die zu kämpfen sich lohnt, Missstände, die keiner anspricht, Denkweisen, die die Grenzen zwischen den Einheimischen und den aus den unterschiedlichsten Himmelsrichtungen Hinzugekommenen zementieren, anstatt sie durchlässig zu machen.
Doch trotz all der Schwierigkeiten der Hauptfigur, in eine neue Identität hineinzufinden, trotz aller Kritik an ihrem Aufnahmeland, mit der das Buch wahrlich nicht geizt, trotz der vielen deprimierenden Erlebnisse der späteren Dolmetscherin mit Menschen, die es nicht schaffen, mit ihrem alten Leben abzuschließen und sich dem Neuem zu öffnen – unterm Strich erzählt Die undankbare Fremde eine Geschichte, die auf eine funktionierende Assimilation hinausläuft. Und zwar deshalb funktionierend, weil Irena Brežnás Protagonistin sich nie den gewandelten Gegebenheiten unterwirft, sondern hartnäckig auf Partizipation besteht. Erst wenn das Eigene sich dem Fremden genauso öffnet wie das Fremde dem Eigenen, so darf man wohl verstehen, kann gelingen, was auch heute, fast ein halbes Jahrhundert nach den im Buch geschilderten Ereignissen, noch viel zu selten passiert: dass Menschen, die ihre Heimat aus welchen Gründen auch immer verlieren, nicht auf ewig heimatlos bleiben müssen.
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