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Michael Köhlmeier
Zwei Herren am Strand
Allianz gegen den schwarzen Hund
In Michael Köhlmeiers Roman Zwei Herren am Strand schließen Winston Churchill und Charlie Chaplin einen Bund gegen das Böse in der Welt
Kritik |
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So richtig gepasst haben sie nicht zueinander: der Staatsmann und der Leinwandstar. Auf der einen Seite Winston Churchill (1874–1965) – schwer, rund, hamsterbackig, auf Bildern gelegentlich verschmitzt, öfter aber bedrohlich wirkend. Ihm gegenüber Charlie Chaplin (1889–1977), schmal mit auch im Alter noch voll wirkendem weißen Haar, zappelig und stets in Rollen schlüpfend, ein ewiges Kind, dem man Unglücklichsein und Melancholie nicht zutraut. Und doch gibt es Bilder von dem großen Schauspieler und Regisseur, auf denen er – hinausgeschlüpft aus seiner zweiten Haut, der Maske des Tramp, in der ihn die Welt seit dem gleichnamigen Stummfilm von 1915 kannte und liebte – ernst und in sich gekehrt wirkt, nachdenklich und verschlossen.
Chaplin und Churchill – seit sie sich 1927 im Strandhaus der Schauspielerin Marion Davies – zu der Zeit Geliebte des Medien-Tycoons Randolph Hearst – in Santa Monica kennengelernt hatten, hielten sie zusammen. Bildeten eine Allianz, auch wenn sie sich jahrelang nicht persönlich begegneten. Doch war der eine in Not und der andere erfuhr davon, war er unverzüglich da, um zu helfen. Denn sie hatten es sich von Beginn ihrer seltamen Freundschaft an versprochen. In dem Moment, da sie erkannten, dass sie einen gemeinsamen Feind besaßen, war der Pakt geschmiedet worden, das Bündnis gegen die Depression, der sie die dunkelsten Stunden ihres Lebens verdankten.
In seinem neuen Roman „Zwei Herren am Strand“ hat Michael Köhlmeier sich dieser Verbindung zweier Großer des 20. Jahrhunderts angenommen. Nach dem umfangreichen Text „Die Abenteuer des Joel Spazierer“ (2013) könnte man geneigt sein, dieses Buch als literarische Fingerübung abzutun. Allein da ist viel, was eine enge Verbindung zu früheren Texten Köhlmeiers herstellt: das Interesse für die Geschichte etwa, das Ineinander- Verwobensein von Erfundenem und Wahrem, die Konstellation zweier Menschen, die, aufeinander angewiesen in guten wie in bösen Zeiten, sich gegenseitig immer wieder zur Seite stehen und natürlich nicht zuletzt die erzählerische Souveränität, mit der die Geschichte dieser Freundschaft den Lesern serviert wird.
Was dabei entsteht, ist das Doppelporträt zweier starker Männer, beide gewohnt, Widerstände zu überwinden, in ihrem jeweiligen Metier – der Politik hier wie der Kunst da – Maßstäbe zu setzen und dennoch immer wieder zurückgeworfen zu werden auf ihre menschliche Natur, die ihnen Zweifel, Versagensängste und Todessehnsucht eingibt. Hat der „schwarze Hund“, wie sie ihre Depression in Anlehnung an den Dichter Samuel Johnson nennen, sie erst einmal fest im Griff, verschwindet ihre Selbstsicherheit von einem Augenblick auf den nächsten, lässt ihre Eloquenz sie im Stich, verdunkelt sich der Horizont und Suizidgedanken müssen abgewehrt werden. Churchill setzt sich dann mit seiner Staffelei in die Landschaft und malt, Chaplin bedient sich der „Methode des Clowns“, die darin besteht, sich vor sich selbst lachhaft erscheinen zu lassen. Noch besser freilich funktioniert die Rückkehr in die Normalität des Lebens, wenn der Freund in der Nähe ist oder sofort herbeieilt, um in langen gemeinsamen Gesprächen dafür zu sorgen, dass beide wieder festen Boden unter die Füße bekommen.
„Zwei Herren am Strand“ erweckt bei Lesern, die sich weniger auskennen in den Biografien der beiden Protagonisten, den Eindruck, historisch getreu aus zahlreichen Quellen recherchiert zu sein, auf die sich der Text auch immer wieder konkret bezieht. Allein die meisten der Gewährsleute, die von Köhlmeiers Erzähler eingeführt werden, halten einer Überprüfung nicht stand. So existieren weder die privaten Aufzeichnungen von Churchills angeblichem Privatsekretär William Knott, aus denen reichlich zitiert wird, noch das Buch „Chaplins Tugend“ des Journalisten Josef Melzer. Und auch der Erzähler, der sich dem Leser als Sohn eines Mannes vorstellt, der mit beiden – Churchill und Chaplin – bekannt war und mit jenem „privaten Privatsekretär“ William Knott eine jahrelange Brieffreundschaft pflegte, stellt eine reine Fiktion dar.
So entsteht jenseits der faktenverbürgten Realität in diesem Buch eine andere, poetische Wahrheit. Raffiniert benutzt der Autor zu deren Herstellung auch Personen der Zeitgeschichte wie Theodor W. Adorno, dem er einen Aufsatz über die „Methode des Clowns“ zuschreibt, oder Henri Bergson, dessen Begriff des Komischen ausführlich in Bezug auf Chaplins filmische Werke diskutiert wird.
Die Fluchtlinie des Romans stellt letzten Endes jene Konfrontation dar, in welcher sich der Staatsmann und Literaturnobelpreisträger und der schauspielernde Autor-Regisseur gegenseitig ergänzen: jene mit dem faschistischen Deutschland und dessen Galionsfigur Adolf Hitler. Köhlmeier lässt Churchill und Hitler in einer chaplinesken Szene sogar einmal einander begegnen – auf der Herrentoilette des Münchner Hotels „Continental“ nämlich, wo Churchill den sich beim Rasieren schneidenden zukünftigen Reichskanzler überrascht und beide in einer konsonantenreichen Sprache zu fluchen beginnen, die ein bisschen an das Kauderwelsch erinnert, das Jahre später in Chaplins Film „Der große Diktator“ zu hören sein wird.
Chaplin und Churchill – zwei große Männer des 20. Jahrhunderts, von denen jeder auf seine Weise Geschichte geschrieben hat. Ihre Bekanntschaft ist verbürgt – eine freundschaftliche Beziehung wahrscheinlich. Einen Pakt gegen die beide in Abständen heimsuchende Depression schließen sie allerdings nur im vorliegenden Roman. Dazu betreibt Michael Köhlmeier einen enormen fiktiven Aufwand. Den verspürt man als Leser allerdings kaum. Zu gut beherrscht der Autor sein Metier. Zu perfekt greifen Wahrheit und Erfindung ineinander. Zu einleuchtend erscheint die Erkenntnis unter dem Strich, dass, wer den „schwarzen Hund“ zu vertreiben vermag, sich vor der von Deutschland ausgehenden Schwärze in der Jahrhundertmitte nicht zu fürchten braucht.
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