Philip Roth
Exit Ghost
Jedermanns Schicksal: Instabilität
Philip Roth erzählt in seinem neuen Meisterwerk die Geschichte Nathan Zuckermans zu Ende
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Philip Roth
Exit Ghost
Roman
München, Hanser 2008
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Wer in den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten das Werk des amerikanischen Schriftstellers Philip Roth verfolgt hat, ist immer wieder einer Gestalt namens Nathan Zuckerman begegnet. Zunächst als Alter Ego des Autors konzipiert, über das Roth seinen eigenen, komplizierten Weg zu national- und schließlich weltliterarischer Geltung selbstironisch spiegeln konnte, taucht Zuckerman in späteren Romanen nicht mehr als Ich-Erzähler auf, sondern in der Rolle des zurückgezogen lebenden, längst anerkannten Schriftstellers, den jetzt andere bitten, ihren Lebensgeschichten literarische Gestalt zu verleihen.
Nun, mit Exit Ghost, kommt der schattenhafte Begleiter des in den letzten Jahren beständig zu den ganz heißen Nobelpreiskandidaten zählenden nordamerikanischen Autors ein letztes Mal selbst zu Wort. Und zwar im Rahmen eines Buches, das von der Einsamkeit des Alters erzählt und dabei die unvermeidlichen körperlichen Malaisen nicht verschweigt. Doch letztere – vor allem die nach einer Prostataoperation sich einstellende Inkontinenz – sorgen auch dafür, dass Zuckerman sein gewollt einsiedlerisches Leben in den Berkshires nördlich von New York noch einmal für eine Woche aufgibt – in diesen sieben Tagen Ende Oktober 2004 spielt der Roman – und zurückkehrt in die Stadt, die er mehr als zehn Jahre mied.
Eigentlich ist es eine neue, endlich Erfolg versprechende Behandlungsmethode seiner peinigenden Beschwerden, die ihn wie einen Geist auf den Straßen seiner Jugend erscheinen lässt. Doch während sich das medizinische Heilsversprechen schlussendlich als Illusion herausstellt, führen ihn verschiedene unerwartete Begegnungen mit Menschen, die zu seiner Vergangenheit gehören oder sich für diese interessieren, sehr schnell zu der Entscheidung, sein kleines Haus auf dem Land für eine Weile gegen eine New Yorker Stadtwohnung einzutauschen. Bald hat er auch ein williges Pärchen – zwei am Karriereanfang stehende, noch wenig erfolgreiche Schriftsteller, die ihn an das eigene Beginnen erinnern – gefunden, das sich auf den Tausch gern einlässt, um jenseits des New Yorker Trubels wichtige Projekte zu Ende zu bringen. Doch mit den neuen Bekannten kommen alte Probleme, die Nathan Zuckerman längst überwunden glaubte.
Vor allem Jamie Logan, die selbstbewusste junge Frau mit der unwiderstehlichen Ausstrahlung – ein Typ, dem man in nahezu jedem Roth-Roman begegnet, nun aber noch einmal gesteigert zu einem fast überirdischen Wesen voller Zauber und sexueller Verführungskraft – beschäftigt plötzlich seine Gedanken mehr als ihm lieb ist. Und in deren Umkreis begegnen ihm wissbegierige Menschen, die in seiner Vergangenheit wühlen möchten, um mit den Skandalen von damals schnellen heutigen Ruhm zu ernten.
Zuckermans letzte Liebe hat kaum Körperliches mehr. Natürlich spürt er den Schmerz eines Begehrens, das nicht hoffen darf, erhört zu werden und von Scham und Selbstekel begleitet ist. Doch die Verarbeitung der Geschichte geschieht allein auf dem Papier, in ausgedachten Dialogen, die das Buch durchziehen und noch einmal den großen Erotiker Roth anklingen lassen. Allein es ist eine geisterhafte Erotik, nichts Schmutzig-Skandalöses hängt ihr mehr an wie etwa der Beziehung zwischen dem sich selbst betrügenden Hochschullehrer Coleman Silk und Faunia Farley, der Analphabetin, in Der menschliche Makel (2000). Der hier noch einmal hingerisssen wird von der Schönheit und dem Intellekt einer um viele Jahre jüngeren Frau, weiß gleichzeitig um die Flüchtigkeit dieses Gefühls. „Bis an die Zähne mit Zeit bewaffnet“ ist nur die Jugend, doch deren Pakt mit der Ewigkeit, der ihr die Kraft für ihre Streiche gibt, ist für den alten Mann leider abgelaufen.
Exit Ghost behandelt neben seinem Hauptthema natürlich auch das Schreiben als existenzielle Notwendigkeit. Nathan Zuckerman hat es immer geholfen – in Lebenskrisen und über Depressionen und persönliche Enttäuschungen hinweg. So wird denn auch diesmal die Literatur aufgeboten, um eine völlig ungewollte, aber nicht zu unterdrückende letzte Erregung intellektuell zu kanalisieren. Doch selbst in fiktiver Form lässt sich eine Entscheidung nicht hinausschieben. Die aber heißt am Ende von Roths Roman Flucht, oder - mit den Worten des Buchtitels, einem Hamlet-Zitat – Exit Ghost. Jemand, der sich längst nicht mehr als dazugehörig empfindet, tritt nun wirklich ab, verschwindet samt seinem schnell gepackten Koffer, löst sich auf und ist – so die letzten Worte des Romans – „für immer fort“.
Verwoben in die Handlung hat Roth allerhand Zeitkritisches. Die jungen Intellektuellen, die er im Umgang mit seinem abgeklärten Protagonisten zeigt, engagieren sich im ersten US-Wahlkampf nach dem 11. September gegen Bush und müssen voller Entsetzen sehen, dass er gerade von denen wiedergewählt wird, die unter seiner Administration am meisten zu leiden hatten. Zuckerman selbst steht dem Amerika nach der Jahrtausendwende gegenüber wie ein Fremder. Handys machen ihn nervös, Computer stoßen ihn ab. Die Interessen der jungen Schriftstellergeneration teilt er nicht. Einst selbst auf schnellen Erfolg aus, sieht er mit Entsetzen auf die aktuelle Generation von Schriftstellern, die einen oberflächlichen Kulturjournalismus betreibt, und legt sich, wo er kann, mit deren Idealen an. Entsprechend sieht seine Lektüre aus. Namen wie Joseph Conrad, Anton Tschechow, Henrik Ibsen, George Orwell, Primo Levi oder T.S.Eliot weisen alle weit zurück in eine Zeit, in der Literatur noch einen ganz anderen Stellenwert zu besitzen schien.
Und doch ist Exit Ghost alles in allem kein Werk der Nostalgie, sondern die ehrliche Auseinandersetzung eines heute 75-Jährigen mit seinem fiktiven Stellvertreter-Ich und der Zeit. Voller wunderbarer Seiten, nicht frei von Resignation, aber dann plötzlich wieder kämpferisch ausbrechend aus der selbst gewählten Isolation. Sicher das Beste, was Roth seit Der menschliche Makel geschrieben hat. Weise, anrührend und voll stillem Humor.
Philip Roth, geboren 1933 in New Jersey, stammt aus einer jüdischen Familie und lebt heute vorwiegend in New York. Er gehört zu den bekanntesten Autoren der USA und erhielt alle bedeutenden literarischen Auszeichnungen seines Landes.
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Dietmar Jacobsen 10.04.2008
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Dietmar Jacobsen
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