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Ilija Trojanow
Eistau
„Ich bin es müde, Mensch zu sein“
Ilija Trojanows Roman Eistau pathetisiert das Thema Mensch/ Natur, indem er seinen Helden verbittern lässt und zum Sühneopfer stilisiert
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Ilija Trojanow
Eistau
Roman
München: Carl Hanser Verlag 2011
172 Seiten, 18,90 Euro
ISBN 978-3-446-23757-5
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„Erleben Sie auf unserer Antarktisrundreise abwechslungsreiche Expeditionen, spannende Vorträge von fachkundigen Dozenten und eine unvergleichliche Tierwelt. Erkunden Sie die antarktische Halbinsel in all ihrer Vielfalt ... Aquamarinblau schimmernde Eisberge und das weite Meer bilden einen würdigen Rahmen.“ (Online- Werbung der Djoser Reisen GmbH/ Köln)
Grammatisch nicht immer so holprig wie in diesem Beispiel kann man es in Dutzenden, von Reiseveranstaltern und Reedereien herausgegebenen Katalogen lesen. Die Antarktis hat offensichtlich und trotz der gepfefferten Preise, die die Exklusivität von solcherart Veranstaltungen natürlich noch unterstreichen, Konjunktur. Sie gilt als das letzte unberührte Paradies auf Erden. Als ein Raum, dem mit dem Antarktisvertrag von 1959 auferlegt wurde, ausschließlich der friedlichen Nutzung zu dienen, scheint sie der allerorten üblichen Ausbeutung der Erde durch den Menschen bis auf Weiteres entzogen. Hier begegnet man den possierlichen Pinguinen, schippert an riesigen Eisbergen vorbei und kann sich sogar an einem jährlich stattfindenden Extremmarathon beteiligen.
Ilija Trojanow war bereits zweimal in den Gefilden südlich des 60. Breitengrades unterwegs. In seiner Reportage Die letzte Leere, erschienen im Dezember 2008 in der Wochenzeitung DIE ZEIT, hat er davon berichtet und die Antarktis – wenn auch bereits mit leicht skeptischen Untertönen – als ein „Beispiel menschlicher Vernunft“ bezeichnet. Nun, in seinem neuen Roman Eistau, lässt er sie zum Schauplatz für die Verzweiflungstat eines Menschen werden, der Seinesgleichen am liebsten von der Erdoberfläche getilgt sähe.
Zeno Hintermeier, den Helden des Romans, nennen sie nur „Mr. Iceberger“ auf der MS HANSEN, die betuchte Touristen von der südargentinischen Hafenstadt Ushuaia aus in die unberührten Landschaften des Südpolgebiets transportiert. Der Ex-Glaziologe arbeitet als Lektor an Bord des Schiffs, hat also zusammen mit anderen Experten die Aufgabe, die Passagiere mittels Vorträgen und auf Expeditionen in die Geheimnisse des ewigen Eises einzuweihen. Zeno ist jenseits der 60 und alles, was ihm in Leben und Beruf einst Halt gab, hat sich nach und nach in Nichts aufgelöst. Der Alpengletscher, dessen Erforschung er sich seit Jahrzehnten zusammen mit seinen Studenten widmete – nahezu vollständig weggetaut. Helene, seine Ex-Frau – nach einigen gescheiterten Paartherapien auf und davon. Sein Vertrauen in den Menschen und dessen ökologisches Bewusstsein – gewichen einem verbitterten Zynismus, der letzten Endes zu Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit führt: „Der einzelne Mensch ist ein Rätsel, einige Milliarden Menschen, organisiert in einem parasitären System, sind eine Katastrophe.“
Trojanows Roman protokolliert tagebuchartig die Erlebnisse Zenos auf seiner letzten Fahrt. Die in zwölf Kapitel unterteilten Notizen stellen somit gleichsam die Hinterlassenschaft eines Mannes dar, der angesichts fortschreitender Naturzerstörung den Mut verliert und in einer so trotzigen wie letzten Endes wirkungslosen Aktion, die mit seinem Freitod endet, ein Zeichen setzen will. Zwischen diese aus der Ich-Perspektive der zentralen Figur geschilderten Abschnitte hat der Autor kurze Passagen gesetzt, in denen das mediale Rauschen, vor dessen Hintergrund man immer weniger zu unterscheiden vermag zwischen wichtigen und banalen Botschaften, eine Stimme erhält. Es ist ein Gewirr aus Nachrichtenfetzen, Werbebotschaften, Schlagerzeilen und umgangssprachlichen Banalitäten, in dem der Leser schnell erkennt, was ihm an Sprachmüll täglich entgegenschwappt.
Der Trivialisierung der zwischenmenschlichen Kommunikation wirkungsvoll konfrontiert werden Passagen, in denen der Tagebuchschreiber zum Beispiel über die vielen Namen nachdenkt, die die Inuit für Schnee und Eis haben. Diese ursprüngliche, in Sprache übersetzte Differenzierung des Naturerlebens, so darf man wohl verstehen, ist für die Bewohner der nördlichen Hemisphäre des Planeten allein noch etwas Staunenswertes. So simpel wie ihr Wortschatz geworden ist, stellt sich inzwischen auch ihr Verständnis der Probleme dar, die daraus erwachsen, dass man die ökologischen Nöte dieser Welt zwar durchaus wahrnimmt, ihnen aber zumeist nur mit plakativen Aktionen und ohne den notwendigen Ernst begegnet.
Trojanows Held erlebt die Oberflächlichkeit der Auseinandersetzung mit Themen, die das Leben der zukünftigen Generationen betreffen, als mit viel Brimborium ein populärer Künstler eingeflogen wird. Das riesige SOS, das die Passagiere der HANSEN auf der unberührten weißen Fläche unter seiner Regie bilden, ist nicht mehr als ein wirkungsloses Zeichen: „Oktoberfest im tiefsten Süden“. Tiefere Erkenntnissse, geschweige denn Ansätze zu einem Umdenken, transportiert dieser künstlerisch-mediale Protest nicht.
Für Zeno allerdings stellt er eine Art Startschuss dar. Passagiere und Besatzung der MS HANSEN zurücklassend, kapert er im Alleingang das Schiff, steuert es hinaus ins offene Meer und überantwortet sich selbst der kalten See, damit in eine Natur eingehend, die er doch nicht retten kann. Es ist eine Tat ohne größeres Echo. Ein von Pessimismus grundierter Aufschrei, der die Frage aufwirft, ob es überhaupt noch Sinn macht, sich als Einzelner einer Entwicklung entgegenzustellen, die, einmal in Gang gesetzt, vom Menschen kaum mehr aufgehalten werden kann. Ilija Trojanows Protagonist scheint dieser Auffassung zu sein und deshalb taugt er auch nicht zum Vorbild. Seine Misanthropie, sein Sich-Verkriechen in sich selbst, seine Abwehr aller Versuche von außen, ihn aus seiner Einsamkeit zu erlösen, verdeutlichen, dass er es den Menschen nicht mehr zutraut, konstruktiv über ihre Gegenwart hinauszudenken.
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