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David Vann
Goat Mountain

„Das Tier macht den Menschen“

In Goat Mountain erzählt David Vann von einem Jagdausflug, der drei Männer und einen Jungen an die Grenzen des Menschseins führt

  Kritik
  David Vann
Goat Mountain
Roman
Aus dem amerikanischen Englisch von Miriam Mandelkow
Berlin: Suhrkamp Verlag 2014
271 Seiten, 22,95 €
ISBN 978-3-518-42455-1

Weitere Rezensionen von
Dietmar Jacobsen zu David Vann :
Im Schatten des Vaters   externer Link



Ein Medea-Roman sei sein nächstes Projekt, hat David Vann kürzlich in einem Inter­view bekannt. Medea, die griechische Sagengestalt, die aus Liebe schuldig wird und deren Rache die eigenen Kinder zum Opfer fallen. Hundert­fach lite­rarisch bear­beitet von Euripides bis Christa Wolf, von Ovid bis Jean Anouilh, von Seneca bis Nino Ha­ratischwili. Zeitlich und geo­grafisch weit abgerückt von den Schau­plätzen und Momenten, an und in denen David Vanns bisherige Romane spielten. Doch ist die Ferne der griechis­chen Mytho­logie nur eine scheinbare. Ist in ihr selbst ja bildlich aufgehoben, was noch weiter zurück in die Geschichte der Menschheit reicht. Und wird sie bis heute dazu genutzt, das Allgemeine hinter dem Beson­deren durchsichtiger zu machen.

Insofern ist es keine Überraschung, wenn einer der besten amerikanischen Auto­ren seiner Genera­tion, dessen Bücher bisher von Familien­konflikten in unseren Tagen handel­ten, wobei „Familien­kon­flikte“ fast ein Euphemismus ist für jene immer tödlich enden­den Kämpfe zwischen Vätern und Söhnen, Männern und Frau­en, Söhnen und Müttern, die im Mittel­punkt der bisher ins Deutsche über­setzten 3 Bücher des 1966 auf Adak Island/ Alaska gebo­renen David Vann stehen. Denn auch in ihnen herrschten die Strenge und Klarheit der von Vann so geliebten griechischen Tragö­dien, ging es immer ums Ganze, um Grund­fragen der mensch­lichen Existenz, Gut und Böse, Wildheit und Moral.

Allein Goat Mountain, seinen neuesten Roman, versteht der zur Zeit in Neuseeland lebende Autor als eine Art Schluss­stein. „Mit diesem Buch werden die letzten Reste dessen weg­gebrannt, was mich ursprünglich zum Schreiben trieb, nämlich die Geschich­ten über meine von Gewalt geprägte Familie“, heißt es am Ende eines Buches, das seine Leser fesselt von der ersten bis zur letzten Seite. Und das, obwohl es nicht gerade reich an äußerer Handlung daher­kommt, sondern aus heutiger Per­spektive sich an einen Jagd­ausflug erinnert, den der damals 11-jährige Ich-Erzähler im Jahr 1978 gemeinsam mit seinem Vater, dem Großvater und einem Freund der Familie unter­nahm.

Es ist das Wochenende, an dem der Junge zum Mann werden soll. Zum erstenmal ist es ihm erlaubt, eigenhändig einen Hirsch zu erlegen und all die Rituale zu vollziehen, die der Cherokee-Groß­vater und dessen Vor­fahren in die Familie gebracht haben. „Offiziell illegal, nach dem Fa­milien­gesetz alt genug“, besitzt der Elfjährige seine eigene Waffe und genügend Kenntnisse über deren Funktion und das Töten als einen Urgrund mensch­lichen Seins, um seinem ersten wirklichen Jagd­abenteuer unge­duldig entgegen­zufiebern. Doch die Sache geht schief von Anfang an. Kaum haben die Männer nach einer hals­brecheri­schen Anfahrt das familien­eigene Stück Land in der zer­klüfteten nord­kaliforni­schen Berg­welt des Mendocino National Forest er­reicht, bemerken sie einen Wilderer, der sich nicht einmal die Mühe macht, vor ihnen in Deckung zu gehen. Spielerisch legt der Vater das Gewehr auf den Mann an, lässt den Elfjährigen einen Blick durch das Ziel­fernrohr werfen – doch der drückt, als er den Mann genau im Faden­kreuz hat, einfach ab.

Was zunächst wie ein Unglück aussieht, reflektiert Vanns Erzähler sofort als Ergebnis eines tief im Menschen verankerten Mord­instinkts. Wer überleben will, muss in der Lage sein zu töten, ist eine Erkenntnis, die in der Familie von Gene­ration zu Gene­ration weiter­gege­ben wurde. Deshalb entwickelt der Elf­jährige auch kaum Schuld­gefühle, sondern sieht emotions­los zu, wie Vater und Großvater den getöteten Fremden behan­deln wie ein Stück erlegtes Wild. Nur Tom, der nicht zur Sippe gehö­rende Freund, appel­liert an das zivilisatorische Bewusst­sein in den Männern und lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass er nach der Rückkehr aus den Wäldern dafür sorgen wird, dass dem Ermor­deten Gerech­tigkeit widerfahren und seinen Mörder die gebüh­rende Strafe ereilen wird.

Fortan belauert man sich gegenseitig und David Vann lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass der von dem Jungen getötete Mann nicht das einzige Opfer dieses Jagd­ausfluges bleiben wird. Aber welche Partei wird sich letzten Endes durchsetzen? Die, welche das Gesetz der Sippe über jenes der Gesell­schaft stellt? Oder jene, die davon ausgeht, dass jede auf sich geladene Schuld eine Bestrafung nach den geltenden Regeln von Gesetz und Moral nach sich ziehen muss?

Es sind Grundfragen des menschlichen Seins, die in Goat Mountain disku­tiert werden. Und weil es um Recht und Gesetz, Schuld und Sühne, Moral und Instinkt, Leben und Tod geht, spiegelt der Autor die Aus­einander­setzung seiner vier Prota­gonisten um die Tat des Jungen und das, was ihr zu folgen hat, auch immer wieder an biblischen Urzenen wie der Ermor­dung Abels durch seinen Bruder Kain oder der Will­fährig­keit, mit der Abraham bereit ist, seinen Sohn Isaak Gott zum Opfer zu bringen. Dass diese Paral­leli­sie­rung auf Dauer etwas über­stra­paziert wirkt, soll hier nur am Rande vermerkt werden.

Seinen ersten Hirsch erlegt der Junge schließlich doch noch. Im Gegensatz zu der Ermor­dung des unbe­kannten Wilde­rers mit einem einzigen Schuss auf eine Ent­fernung, in der das Opfer nur durch das Zielfernrohr der tödlichen Waffe wahr­ge­nommen wurde, steht er dem qualvoll ver­endenden Tier allerdings Auge in Auge gegenüber. Es ist eine brutale Szene, ein minuten­langes Gemetzel, bei dem ihm keiner hilft. Und auch den Transport des toten Tiers zu ihrer Unterkunft überlassen die sich von ihm abwendenden Männer ganz ihm
selbst.

Es erinnert ein wenig an Hemingways berühmte Novelle Der alte Mann und das Meer, wenn sich Vanns Held mit seiner zentner­schweren Jagd­trophäe auf den Weg macht. Weil ihm die Last zu schwer ist, muss er sich unter­wegs immer wieder von Teilen der Beute trennen, bis er nach Stunden nur noch den Kopf des Tiers mit Hals und Geweih ge­schul­tert hat. Die Tortur lehrt ihn aller­dings nicht nur Respekt für die, sondern auch Mitleid mit der getö­teten Kreatur. Er ist deshalb ein anderer geworden, wenn er wieder unter den Männern erscheint. Einer, der beginnt auszu­scheren aus den archai­schen Denk­mustern, wie sie die Familie seit Gene­rationen beherrschen. Einer, der Reue zu verspüren beginnt und sich bei der unver­meid­lichen letzten Konfron­tation innerhalb der Gruppe letzt­lich auf die richtige Seite stellt.
Dietmar Jacobsen   04.02.2015    Druckansicht  Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht

 

 
Dietmar Jacobsen