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Sven Regener
Magical Mystery oder Die Rückkehr des Karl Schmidt
Zwischen Hofbräuhaus und Schrankenhusen-Borstel
In seinem neuen Roman Magical Mystery nimmt uns Sven Regener mit in die Rave-Clubs der Republik – am Steuer des Tourbusses: Karl Schmidt
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Sven Regener
Magical Mystery
oder Die Rückkehr des Karl Schmidt
Roman
Berlin: Galiani 2013
507 Seiten, 22,99 Euro
ISBN 978-3-86971-073-0
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Every day you'll see the dust
As I drive my baby in my Magic Bus
Magic Bus/The Who
Man schreibt die Mitte der neunziger Jahre. Der „DDR-Kram“ ist bereits Geschichte und ohnehin hat sich Karl Schmidt – die Hauptfigur im neuen Roman von Sven Regener – nie sonderlich für all das interessiert. Ja, schlimmer noch: In der Nacht der Maueröffnung musste sein Freund Frank Lehmann Schmidt ins Berliner Urban- Krankenhaus einliefern. Während die ganze Stadt zur Partyzone wurde und „Wahnsinn!“ das Wort der Stunde war, schlossen sich hinter Karl die Tore der Psychiatrie. Und blieben geschlossen, bis es Regener nun gefiel, nach drei Lehmann-Romanen einmal nachzuschauen, was aus dessen altem Künstler-Kumpel Karl wohl inzwischen wurde.
In Hamburg begegnet der Leser ihm wieder. Nach fünf Jahren Drogenentzug ist er geheilt von seiner multitoxischen Vergangenheit und lebt wohlbehütet in einer therapeutischen Einrichtung namens „Clean Cut 1“. Allerdings nicht so gut versteckt, dass er nicht von einem alten Bekannten aus seiner wilden Berliner Zeit aufgestöbert werden könnte. Und so sitzt Schmidt eines Tages nichtsahnend im Altonaer Café „La Romantica“ vor einem Eisbecher „Monteverdi“, als die Vergangenheit ihn in Gestalt seines Ex-Kumpels Raimund Schulte erst ein- und später heimholt.
Mit diesem Schulte und dem nicht weniger verpeilten Ferdi ist Schmidt in den frühen Achtzigern in Westberlin unter dem Bandnamen „Glitterschnitter“ unterwegs gewesen, wobei sein musikalischer Beitrag darin bestand, Raimunds Schlagzeug und Ferdis Bass mit Trennschleifer und Bohrmaschine zu begleiten. Inzwischen jedenfalls haben die beiden als Bosse des Rave-Labels „Bumm Bumm Records“ das große Geld gemacht und planen eine Tour durch die Rave-Clubs der Republik. Und Karl, der geheilte Depressive, der keine Droge, nicht mal ein Gläschen Bier mehr anrührt, soll den Tourbus fahren.
Seit dem Überraschungserfolg seines Romandebüts Herr Lehmann (2001) kennt man Sven Regener, den Frontmann der Band „Element of Crime“, auch als Autor. Und genauso, wie sich mit der Musik des Berliner Quartetts inzwischen ganz bestimmte Erwartungen verbinden, schlägt man auch jedes neue Buch des Schriftstellers Regener schon mit dem Sound im Kopf auf, an den man sich seit nunmehr drei Romanen und der Buchfassung eines während einer „Element of Crime“-Tournee entstandenen Internetblogs gewöhnt hat. Man kann sie praktisch schon vorher hören, jene wundervoll sinnentleerten, um und in sich selbst kreisenden Dialoge, mit denen da einer die Seiten füllt – diesmal sind es mehr denn je, nämlich glatte 500, unterteilt in 79 Kapitel. Voller Vorfreude auf all das authentische Geschwafel, in dem es eigentlich um nichts geht und das trotzdem – oder gerade deshalb – so lebensprall und wahr daherkommt, trägt man das Buch nach Hause, schlägt die erste Seite auf und – wird nicht enttäuscht.
Denn natürlich setzt sich Karl Schmidt nach anfänglichem Zögern hinter das Steuer des Mercedes-Transporters – auch weil es ihm in seiner Versehrten-WG ein bisschen zu reglementiert zugeht – und es beginnt jenes verrückte Unternehmen, dem die „Bumm Bumm Records“ – Macher in Anlehnung an ein ziemlich erfolgloses Projekt der Beatles den Namen „Magical Mystery Tour“ verpasst haben. Von Berlin aus geht es nach Bremen, anschließend über Köln bis München und wieder zurück in den hohen Norden, wo man in der Mehrzweckhalle von Schrankenhusen-Borstel für ravebegeisterte Rollstuhlfahrer die abgestandene Luft zum Vibrieren bringt, ehe ein ultimativer Event zum Abschied nach Essen lockt .
Ich muss gestehen: Würde ein weniger bekannter Autorenname über diesem Buch stehen, ich hätte mir sehr gut überlegt, ob ich es lese. Denn Ravemusik war und ist nicht unbedingt meins. Und wer jetzt denkt, dass es sich bei dem Musiker Regener um einen Raver handeln muss, der sollte mal probehalber ein Album von „Element of crime“ auf – (Plattenspieler) oder einlegen (CD-Player), wenn er sich nicht sowieso in der Szene auskennt. Die Jungs klingen nämlich auch anders. Aber egal: Sobald man sich einmal mit all den verkorksten Typen auf Tour befindet, um deutschlandweit die Rave-Botschaft an den Mann und an die Frau zu bringen, ist es um einen geschehen. Dann muss man mit bis zum bitteren Ende, das im Übrigen so bitter gar nicht ist.
Und es macht richtig Spaß, Karl Schmidt als den cleanen Schutzengel einer Horde Ausgeflippter zu erleben, die von ungebärdigen Kindern nur unterscheidet, dass sie ständig am Kiffen sind und die Nächte in dröhnenden Schuppen verbringen, aus denen Regeners Held sie am nächsten Morgen herausholen muss, weil die Tour weitergeht. Dass er unterwegs noch eine kleine Liebelei anzettelt, ein mitreisendes Meerschweinchen zu beerdigen hat und der ständigen Gefahr ausgesetzt ist, „kontaktstoned“ zu werden, sei nur am Rande erwähnt. Auf jeden Fall bewährt er sich als Fels in der Brandung und wendet von den sich ihm anvertrauenden Musikern mit den bizarren Namen Dubi, Basti, Schöpfi, Schulti und so weiter alles Unheil ab, das die chaotische Truppe anzieht wie ein Magnet die Eisenspäne.
Wie es weitergeht? Vielleicht macht Sven Regener aus den Abenteuern des Karl Schmidt genauso einen Dreiteiler wie aus dem Leben seines „Herrn“ Lehmann. Jedenfalls scheint der Mann am Ende von Magical Mystery nicht nur bereit zur Rückkehr in die Welt außerhalb von „Clean Cut 1“, sondern auch gereift und willens, einen neuen Anfang in Berlin zu wagen. Ihm dabei über die Schulter zu schauen, würde uns gefallen.
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