Weyands Protagonisten sind allesamt Gescheiterte. Randexistenzen mit einem letzten Funken Stolz, der sie davor bewahrt, so tief zu fallen wie der Obdachlose Ketchup, dem der Roman nicht einmal mehr einen eigenen Namen zugesteht. Irgendwann angetreten, um Herr der Umstände des eigenen Lebens zu werden, hat es nicht lange gebraucht, sie vollkommen zu desillusionieren. Nun versuchen sie zwar, die Dinge noch halbwegs auf die Reihe zu bekommen, aber so richtig klappen will das nicht. Dafür aber besitzen sie reichlich Erfahrungen. Erfahrungen, die Schiefer und der Ich-Erzähler schließlich in ein Spiel, ein gesellschaftliches Experiment einfließen lassen, in dessen Mittelpunkt der naive, mit viel theoretisch-didaktischem Schnickschnack ausgerüstete und seinem ersten Schultag als Lehrer voller Optimismus entgegenfiebernde Dritte in diesem Männerbund stehen soll. Denn Schiefer weiß nur zu genau, was auf den grünen Jungen zukommt, haben doch wenige Jahre im Schuldienst genügt, um sein Leben gründlich zu ruinieren. Das mag verdächtig nach PISA-Test und Rütli-Terror klingen, ist unterm Strich aber eine über weite Strecken gut funktionierende und flott geschriebene Satire auf ein Teilsystem unserer Gesellschaft, in das man lieber gar nicht erst geraten möchte - die Schule. Hier sitzen bei Weyand verknöcherte Pauker ohne einen Funken Enthusiasmus gelangweilten Schülern gegenüber, die nur auf eines aus sind: die da vorn bloßzustellen. Ein Miteinander gibt es nicht, Solidarität unter Kollegen: Fehlanzeige. Wenn sich die Türen am Morgen hinter Lehrern und Schülern geschlossen haben, verbringt man Stunde um Stunde in hässlichen, heruntergekommenen Räumen, verweigert sich gegenseitig den notwendigen Respekt und atmet erst wieder auf, wenn die letzte Unterrichtseinheit vorbei ist. Niemand kommt gern hierher. Keiner bleibt länger als vorgeschrieben. Ideen, die für eine lebendige Kommunikation zwischen dem Innen der Institution und dem Außen der Gesellschaft sorgen könnten, gibt es nicht. Natürlich ist das alles übertrieben. Doch jene Lehrer, die nach der Lektüre von Schiefer eröffnet spanisch empört aufspringen wollen, um auf das geradezu familiäre Verhältnis aufmerksam zu machen, das sie zu ihren Schülern pflegen, dürfen erst einmal sitzen bleiben. Denn mit seinen – für Insider wahrscheinlich weniger lustigen – literarischen Vergröberungen will der Autor ja auf etwas hinweisen, das, zumindest im Kern, sehr wohl existiert. Das Scheitern von Theo Mal, dem jungen Lehrer voller Tatendrang, erweist sich jedenfalls als unvermeidlich. Und während das Schiefersche Experiment, für das der Ich-Erzähler nachts jede Menge Spionagetechnik in die Unterrichtsräume einbaut, nur herausbekommen will, wer nun die Schuld trägt an der allgemein bekannten Misére, der Hamster oder das Rad, in dem er sich bewegt, ohne von der Stelle zu kommen, ergibt sich für den Leser unterm Strich eine etwas kompliziertere Sachlage. Denn so genau ist die Rolle des Buhmanns am offensichtlichen Nichtfunktionieren von Schule heute nur einer ihrer vielen Seiten nicht zuzuweisen. Schuld an dem offensichtlichen Dilemma sind eben nicht nur junge Lehrer wie Theo Mal, die das System nicht verstehen und sich dementsprechend fehlverhalten. Und anzukreiden ist die Lage andererseits auch nicht allein einem erstarrten Organismus, in dem kein Raum ist für frische Ideen und der deshalb all jene gnadenlos scheitern lässt, die nicht im Gleichschritt mitmarschieren. Stattdessen existieren viele Faktoren, welche die altehrwürdige Institution im Moment so schwerfällig erscheinen und alt aussehen lassen. Und von mehr als einer Seite – so legt es Weyands Roman nahe – muss gebessert und erneuert werden, will man die Sache in den Griff bekommen. Dass das unabdingbar ist, um nicht auf Dauer die Kräfte der ganzen Gesellschaft zu lähmen – dem dürfte auch Kai Weyand zustimmen. Der legt die Symptome für eine unbefriedigende Situation unters Vergrößerungsglas, damit sie deutlich wahrgenommen werden können – an wirksame therapeutische Vorschläge freilich wagt er sich nicht. Aber das ist natürlich auch nicht die Aufgabe von Literatur.
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Dietmar Jacobsen
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