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Thomas Kapielski
Je dickens, destojewski
Ein Volumenroman

Ernst Wuboldt und der Pohle

Thomas Kapielskis erster Roman hat Volumen, birst vor Witz und enthält jede
Menge Nachdenkliches

&xnbsp; Kritik
&xnbsp; Thomas Kapielski
Je dickens, destojewski
Ein Volumenroman
Berlin: Suhrkamp Verlag 2014
edition suhrkamp 2694
458 Seiten, 20,00 EUR
ISBN 978-3-518-12694-3


Ernst Wuboldt lebt in Berlin-Spandau. Zunächst allein, dann für eine Weile beweibt, schließ­lich wieder einsam. Was ja das Schicksal vieler Zeit­genos­sen sein soll. Freilich: Wuboldt selbst kann nichts für die Kaprio­len, die sein Leben schlägt. Dahinter nämlich steckt „der Pohle“. Der lässt die Puppen tanzen, mal hin zu Wuboldt und mal weg von ihm. Aber wer ist der selt­same Geselle, den nur ein „h“ von einem „Polen“ unterscheidet, der durch­aus Kapielski heißen könnte?
&xnbsp; Thomas Mann hätte ihn wohl den „raunende Beschwörer des Imper­fekts“ genannt. Weder ist er mit dem Autor identisch – deshalb das „h“ –, noch findet man ihn auf der Figurenebene des neuen Buchs von Thomas Kapielski. Er ist sozu­sagen das bewe­gende Element, der Geist, nach dessen Willen im Volumenroman Je dickens, destojewski die Puppen tanzen. Fran­zösische Struk­tura­listen und Post­struk­tura­listen hätten wohl noch verwirrendere Namen für ihn, aber die lassen wir hier mal außen vor. Denn wie heißt es im Text so schön: „Wennst den Lacan da, den Schwatz­dimpfl, einiger­maßen gepackt hast und bist blöd genug hinter­her­gestie­gen, dann fehlt dir fei oben die Kraft, zu bewerten, ob es nicht alles Unfug ist, gell? Das ist dem Franzosen sein Trick, Ernst!“ Und nicht nur dem seiner, möchte man ergänzen.
&xnbsp; Aber zurück: Wuboldt also und der Pohle – erzählte Figur und allmächtiger Erzähler zum einen – erinnern im ersten Roman Thomas Kapiels­kis auch ein wenig an Faust und Mephisto in Goethes bekanntem „Volumen­drama“. Wobei Wuboldt sein Fausti­sches vor allem in Kneipen auslebt. Und der Pohle das Me­phisto­pheli­sche hin­wiederum, indem er den Wuboldt ständig in Ver­suchung führt und nicht zur Ruhe kommen lässt.
&xnbsp; Ja, aber worum geht es eigentlich bei dem Ganzen, das aus fünf Teilen, 294 Para­grafen, einem Prolog und einem Figuren­ver­zeichnis, welches 19 handelnde Per­sonen aufzählt, besteht und sich über stolze viereinhalb Hundert Seiten er­streckt? Lassen wir den Autor – Achtung: Der Autor ist weder identisch mit dem Pohlen noch mit Wuboldt! Wem das zu kompli­ziert ist, der wende sich an den nächst- oder erst­besten Lite­ratur­wis­sen­schaft­ler in seinem Be­kann­ten­kreis! –, lassen wir den Autor also zu dieser Frage selbst kurz zu Wort kommen: „Dieses Buch, ge­neigter Leser, handelt von Liebe und Tod [...] Die Schrift erzählt von Tumult und All­täglich­keit, von Leiden­schaft und Edel­sinn, von Heiß- und Laublut [..].“ Und weiter: „Das Werk be­inhaltet somit alles in allem [...] einen Liebes- und einen Kri­minal­roman, jede Menge Pferde- und Reise­ge­schich­ten, aller­hand Finger­zeige zur gesunden Lebens­führung nebst den [...] ange­deute­ten Erotika (vulgo Vulgaria) und Militaria und bil­det aus allem in eins einen soge­nannten ›Vo­lu­menroman‹.“
&xnbsp; Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen, fällt einem da zunächst ein. Aber keine Angst. Ganz so schlimm wie angedroht kommt es dann doch nicht. Der Plot ist eher über­sicht­lich. Auf gedank­licher Ebene – und das kennt man ja von Kapielski – ufert es frei­lich richtig weit aus. So dass man schon nach knappen 50 Seiten aufzuhören geneigt ist, sich die vielen Ideen, Aphorismen, Aperçus und sons­tigen stilis­tischen Perlen heraus­zu­schreiben und verwirrt bei der Frage landet: Wo hat der Kerl das alles her? Muss man nur still in Gesellschaft in einer x-beliebigen Kneipe sitzen und die Ohren weit aufsperren? So wie Ernst L.Wuboldt einesteils im Span­dauer Gasthaus Büttelmann und andererseits im Bambergischen „Fässla-(ß)-Spezial“ – hier am fränkischen Lang-, da am preußischen Rundtisch – hospitiert und hinein­horcht ins Gesprochene?
&xnbsp; Womit die beiden wichtigsten Lokalitäten des Romans genannt wären. Denn ebenso wie Je dickens, destojewski aufgrund seines Umfangs im Sprach­schatz des Autors als „Volumen­roman“ firmiert und damit an die ähnlich breit­rückigen Werke der großen Russen erinnern soll, könnte man den Text wegen seiner beiden Haupt­schau­plätze auch als „Knei­pen­roman“ bezeichnen. Als „doppelten Knei­pen­roman“ sogar, denn um die beiden Stamm­tische, zu denen es Ernst Wuboldt zieht, hockt hier wie da fast das gleiche Personal. Zwei Kommissare a. D. sind dabei, damit das krimina­listi­sche Element nicht außen vor bleibt. Männer der Wissen­schaft zieren die trink­freudigen Tafeln ebenso wie ein Reform­schuh­fabri­kant in Berlin in einem Bam­berger Reform­haus­betrei­ber sein Pendant und Spiegelbild besitzt. Und während unter die Ab­sonder­lich­keiten des Berliner Lokals ein „Schwei­ger“ fällt, der, auch wenn die Diskus­sion hitzig wird, mah­nend stumm daneben­sitzt, hat die Bamberger Tränke Käuze zu bieten wie den „Ibiza-Kurt“ genannten „Ur­laubs­ver­sehrten“, der früher einmal Feld­propst war.
&xnbsp; Nur an der holden Weiblichkeit, die in Bamberg gleich mit zwei Exemplaren vertreten ist, fehlt es im Spandauer Gasthaus. Dafür darf sich Wuboldt in seiner preußischen Heimat gleich mit drei Frauen, von denen eine jede zwei Söhne besitzt, auf das Glatteis von Ehe und Erotik begeben. Bucker freilich, die neben Murmel und Spindel – Namen, hinter denen man sich sofort figür- wie charakterlich etwas vorzustellen vermag – Dritte im Frauen­bunde, hat der Pohle dem Wuboldt mit den besten Absichten aufs Auge gedrückt. Aber es will nicht so richtig funktio­nieren mit dieser Roman­gestalt und so wird sie Kapielskis ohnehin bela­dener Haupt­figur nach zwei Drittel des Romans umstands­los wieder abge­nommen. Für Wuboldt bringt dies allerdings ein paar Umständ­lich­keiten mit sich, die Para­graf 200 mit fol­gendem lapidaren Satz beschreibt: „Wuboldt griff zum Revolver und schoß Bucker tot!“ Sieht man die Sache allerdings aus der Sicht des Pohlen, dann handelt es sich bloß um die Eliminierung einer unnütz gewor­denen lite­rarischen Figur auf dem Papier. Was auch Folgen für Buckers Söhne hat. Sie werden „entlassen und gut ausbezahlt“.
&xnbsp; Alles in allem stellt Je dickens, destojewski ein großes Lesevergnügen dar. Das ganz bestimmt dann geschmälert wird, fällt es Lesern in die Hände, die von einem Roman eben nichts weiter erwarten als einen „Roman“, wie man sie zu Hundert­tausen­den finden kann. Wer sich freilich von Kapielski mitnehmen lässt in sein Konstrukt der etwas anderen Art, einer erfun­denen Welt, deren Gesetze und Bausätze der Autor offenlegt und diskutiert, wird nicht nur lachen können, sondern auch lernen.
&xnbsp; Und vergleichen? Womit soll man es vergleichen, dieses überbordende Sammelsurium an Genialitäten wie Alltäglichkeiten, gewürzt mit Gedich­ten, Tier­fabeln, Romant­heoreti­schem, ver­steckten An­spie­lungen, wunder­baren Dia­lo­gen und baren Wun­dern von Sätzen? Ich glaube: Neben allem anderen, was er sonst noch darstellt, ist Thomas Kapielski nicht mehr, aber auch nicht weniger als der Jean Paul unserer Tage. Punktum!
Dietmar Jacobsen &xnbsp;&xnbsp;04.05.2015&xnbsp;&xnbsp;&xnbsp; Druckansicht&xnbsp;&xnbsp;Zur Druckansicht - Schwarzweiß-Ansicht

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Dietmar Jacobsen

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