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Techno der Jaguare – Neue Erzählerinnen aus Georgien
Manana Tandaschwili, Jost Gippert (Hg.)
»... was man lassen kann und was nicht«
Sieben georgische Gegenwartsautorinnen brechen auf in eine neue Welt
Kritik |
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Techno der Jaguare
Neue Erzählerinnen aus Georgien
Herausgegeben von Manana Tandaschwili und Jost Gippert
Frankfurter Verlagsanstalt 2013
249 Seiten, 19,90 Euro
ISBN 978-3-627-00192-6
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Als die junge Tino in Maka Mikeladzes Erzählung Eine mit Buch und ihre erlesene Leserschaft eines Morgens aufwacht, ist ihr ein Buch aus dem Kopf gewachsen: „Sie zog daran. Es saß fest ... Sie kämmte die Blätter nach links. Mehr Blätter auf der einen Seite, auf der anderen weniger. Das stand ihr gut.“ Als „Neuausgabe ihrer selbst“ macht sie sich auf den Weg zu ihren täglichen Geschäften – und ist natürlich gespannt darauf, was drinsteht in „ihrem“ Buch. Allein jeder, dem Tino erlaubt, einen Blick hineinzuwerfen, liest etwas anderes heraus.
Für den Taxifahrer sind es schlicht Zeitungen, die hier zu einem neuartigen Kopfschmuck gebündelt wurden. Die oberflächliche Nachbarin erkennt nur leere Seiten, das Cover aber findet sie stark. Für den Geliebten, der sich über Mittag für eine halbe Stunde von seinen Geschäften losgeeist hat, trägt Tino langweilige Excel-Tabellen mit sich herum. Und eine Freundin schließlich gibt nach kurzer Lektüre die Essenz einer pseudoromantischen Seifenoper zum Besten. Nach einem turbulenten Tag, an dem sie nicht nur immer wieder anderen Bücherbekrönten begegnet ist, sondern auch Leuten, denen die Neuen Medien zu Kopfe gestiegen sind – es wachsen ihnen Laptops, Monitore und Webcams direkt aus den Stirnen –, beschließt Tino, ihr Buch lieber selbst zu lesen: „... ich werde prüfen, was man lassen kann und was nicht, was man auslöschen muss und was man abschreiben muss ... was neu ist und was alt ... und was immerwährend.“
Dieser Schluss von Maka Mikeladzes surrealer Erzählung könnte als Motto über allen Texten des Bandes Techno der Jaguare stehen. Ob sie von einer Journalistin erzählen, die sich auf ein enges Verhältnis mit einem Bildhauer einlässt, der der Welt vorspielt, blind zu sein ( Der andere W-E-G), oder eine Frau auf ihre immer wieder schiefgehenden Liebesabenteuer begleiten ( Das historische Gedächtnis); ob sie von einer Profikillerin handeln ( Killer's Job), in einer Traumlandschaft nach weiblicher Identität suchen ( In den neun Hütten), eine unangepasste Heldin durch die halbe Welt begleiten ( Techno der Jaguare) oder eine westliche und eine östliche Frauenperspektive miteinander konfrontieren ( Die zweite Frau) – immer werden neue Wege gesucht, die die patriarchalisch geprägte traditionelle Welt Georgiens hinter sich lassen.
Techno der Jaguare versammelt sieben Erzählerinnen, die den literarischen Aufbruch in ihrem Land in jüngster Zeit entscheidend mitgeprägt haben. Zwei von ihnen – Nino Haratischwili und Tamta Melaschwili – sind dem aufmerksamen Leser hierzulande bereits bekannt. Nino Haratischwili, die heute in Hamburg lebt und auf Deutsch schreibt, stand mit ihrem Romandebüt Juja (Verbrecher Verlag 2010) auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2010. Mit Mein sanfter Zwilling (Frankfurter Verlagsanstalt 2012) gewann sie den Preis der Hotlist der unabhängigen Verlage 2011. Ebenfalls nominiert für Letzteren war ein Jahr später Tamta Melaschwili mit ihrem Aufsehen erregenden ersten Roman Abzählen (Unionsverlag 2012). Mit Übersetzungen von u.a. Elfriede Jelinek und Rainald Goetz aus dem Deutschen ins Georgische hat sich Anna Kordzaia- Samadaschwili in ihrer Heimat einen Namen gemacht. Als Prosaautorin wird sie im vorliegenden Sammelband genauso wie Maka Mikeladse, Ekaterine Togonidze, Eka Tchilawa und Nestan (Nene) Kwinikadze erstmalig dem deutschen Lesepublikum vorgestellt.
Georgien, das Land zwischen Schwarzem Meer und Großem Kaukasus, ist seit 1991 unabhängig. Der kurze Kaukasuskrieg mit Russland vom Sommer 2008 zeigte allerdings, wie instabil die politische Situation in einer Region ist, in der Orient und Okzident unmittelbar aufeinandertreffen. Für die im vorliegenden Sammelband versammelten Prosatexte und den Einakter von Nino Haratischwili freilich spielen transnationale Konflikte nur eine Nebenrolle. Ihnen geht es mehr darum, zu erkunden, in welchen Umbrüchen man sich innergesellschaftlich befindet und welche neuen Rollen das dritte Jahrtausend für Frauen in Georgien bereithält. Für diese Problematiken haben die beiden Herausgeber so aussagekräftige wie literarisch anspruchsvolle Beispiele gefunden, die Neugier wecken und Lust auf mehr machen.
Siehe auch: Tamta Melaschwili: Abzählen
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