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Michael G. Fritz
Adriana läßt grüßen
Ein Koffer voller Leben
In Michael G. Fritz' neuem Roman Adriana läßt grüßen sucht einer das große Glück und findet sich selbst
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Michael G. Fritz
Adriana läßt grüßen
Roman.
Halle, Mitteldeutscher Verlag 2012
284 Seiten, 19,95 Euro
ISBN 978-3-89812-932-9
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Es beginnt mit einer Verwechslung. Boris Helmer, per Bahn unterwegs von Köln nach Berlin, hält plötzlich einen Koffer in der Hand, der ihm gar nicht gehört. Aber weil er fast nichts dazutun musste, damit das Gepäckstück in seinen Besitz überwechselte, nimmt er das unverhoffte Abenteuer als einen Wink des Schicksals und macht sich mit der fremden Habe auf den Heimweg. Um alsbald festzustellen, dass der Koffer nur Fotografien enthält, die einen säuberlich in Alben einsortiert, die anderen lose durcheinander. Und alle Fotos zeigen ein und dieselbe Frau: Adriana.
Viel braucht es in den Romanen von Michael G. Fritz (Jahrgang 1952) nie, damit ein Leben auf den Prüfstand kommt. Die unverhoffte Begegnung mit einem Jugendfreund ( Die Rivalen, 2007), das plötzliche Auftauchen einer geheimnisvollen Verwandten ( Tante Laura, 2008) – und diesmal der neugierige Blick in eine fremde Existenz, von der alsbald ein Sog ausgeht, dem sich Fritz' Held nicht zu entziehen vermag. Ja, diese Frau fasziniert den freiberuflichen Programmierer Boris dermaßen, dass er sich bald für nichts anderes mehr interessiert als für Adriana. Seine ganze Wohnung tapeziert er mit ihren Konterfeis. Legt sich ihr Dasein zurecht wie ein Puzzle und hofft, dass, wenn der letzte Stein an seinen Fleck gerückt sein wird, sie zu einem Teil des eigenen Daseins geworden ist.
Es ist eine radikale Art der Richtungsänderung mitten in einem Lebensabschnitt, in dem Boris Helmer nach dem Verlust seiner alten Arbeit und dem tragischen Unfalltod seiner Frau gerade wieder dabei war, Boden unter die Füße zu bekommen. An Aufträgen mangelte es dem Freiberufler nicht und die Frauen, von denen es etliche gab, ließ er genau so nahe an sich heran, dass eine emotionale Katastrophe wie die bereits einmal erlebte für alle Zukunft ausgeschlossen schien. Allein mit Glück hatte dieser Zustand – das macht ihm jeder Blick auf die Fotos von Adriana deutlich – wenig zu tun. Also versucht er es noch einmal mit aller Kraft und wirft auf der Suche nach der geheimnisvollen Fremden seine ganze Existenz in die Waagschale.
Doch von heute auf morgen sein Leben einem neuen Ziel unterzuordnen, heißt auch, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Deshalb nimmt das Buch uns auf einer zweiten Erzählebene mit in die Familiengeschichte der Hauptfigur, die mit Ostpreußen und der Stadt Königsberg verbunden ist. Beinahe wie in Günter Grassens großartigem Romandebüt Die Blechtrommel kommt man sich da manchmal vor. Und fast so wie der in Danzig geborene Autor einst Reelles und fantastisch Überhöhtes mischte und damit einen ganz neuen Ton in die deutsche Gegenwartsliteratur brachte, findet der Leser auch in Adriana läßt grüßen Episoden von zauberischer Leichtigkeit, skurrilem Erfindungsreichtum und märchenhafter Übermalung der blutigen Weltkriegsrealitäten.
Schade nur, dass es manchmal kompositorisch ein bisschen hakt, wo die beiden Erzählebenen aneinanderstoßen. Da entsteht dann der Eindruck, als befinde man sich plötzlich in einem ganz anderen Buch, auch wenn Michael G. Fritz sich redlich müht, Vergangenheit und Gegenwart miteinander zu verbinden, indem er zum Beispiel immer wieder die zeitlose Figur eines Buckligen auftreten lässt, der einst seine schützende Hand über den Flüchtlingstreck hielt, mit dem Boris' Mutter dem ostpreußischen Inferno entkam, während er in der Gegenwart als Verkäufer einer Berliner Obdachlosenzeitung auftaucht und wertvolle Hinweise für den Sohn parat hält, damit der auf der Suche nach seiner Traumfrau nicht in die Irre geht.
Mit einem Happy-End freilich sollte man bei Michael G. Fritz lieber nicht rechnen. Das wäre denn doch zu billig für einen der interessantesten und sprachmächtigsten Autoren seiner Generation, der zwar um die Sehnsucht des Menschen nach dem ultimativen Lebensglück weiß, aber realistisch genug ist, das Scheitern nicht auszublenden, das auf dem Weg dahin an allen Ecken und Enden lauert.
Und so folgt in diesem Roman auf die momentkurze Erfüllung aller heimlichen Wünsche des Protagonisten das Verlieren sämtlicher von ihm gehegten Illusionen. Am Ende steht Boris Helmer mit noch weniger da als am Anfang. Allein seines Selbst hat er sich mit dem „Abenteuer Adriana“ vergewissert. Und so ist es nicht unbedingt ein trauriger Schluss, wenn Michael Fritz ihn am Ufer der Spree mit den Sätzen verlässt: „Es kam leichter Wind auf. Boris hockte sich ans Ufer und ließ einen flachen Stein über das Wasser rutschen, er traf viermal auf, bevor er gegen eine Welle schlug und unterging. Viermal kann sich sehen lassen, dachte er und nahm den nächsten.“
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