Schon Dämmerschoppen, einer seiner mir bis heute liebsten Texte, war ursprünglich Gelegenheits- wie Auftragsarbeit und geriet sodann zu einem witzig-polemischen Meisterstück, dessen Ausstrahlung sich noch multiplizierte, als es ins Zentrum der Innerschweizer Trilogie versetzt wurde. Mit dem vorliegenden schmalen Bändchen nun hat der Autor gebündelt, was ihm in den letzten fünf Jahren, abseits seiner großen Werke – zuletzt der wunderbare Roman Vierzig Rosen (2006) – und meist durch öffentliche Anlässe inspiriert, in die Feder floss. Es ist – nach Das Holztheater (1997) und Himmelsöhi,hilf! (2002) – das dritte Mal, dass Hürlimann Gelegenheitsarbeiten zwischen zwei Buchdeckel packt. Aber was, bitte schön, heißt bei diesem Autor schon Gelegenheitsarbeiten. Denn Gott sei Dank haben sie ihn nicht geschafft, den titelspendenden Sprung in den Papierkorb, jene 14 kleinen Texte, die der 125. Band der Meridiane- Ob Thomas Hürlimann sich uns als Lesender präsentiert oder die halbe Stunde vor Beginn der Vorstellung im Zürcher Schauspielhaus aus der Sicht eines Garderobiers Revue passieren lässt – stets verbinden sich in seinen Texten genaue Beobachtung, ein Auge für das sprechende Detail sowie die Gabe – fast möchte man sagen: das Genie – für präzise Wort- und Satz(er)findung. Das Jubiläum eines Gymnasiums, der nötige Dank bei einer Preisentgegennahme oder einfach die schlichte Hinführung zum Werk eines Zeitgenossen und Künstlerfreundes – jede Gelegenheit, und sei sie noch so marginal, findet den Autor auf der Höhe seines Könnens. Fast greifbar ist die Lust am Schleifen und Polieren, am Wegnehmen hier und Hinzufügen da, an der Entscheidung für ein Fremdwort einerseits, weil sich kein vergleichbarer Ausdruck dafür im Deutschen finden will, und andererseits - nur ein paar Seiten weiter –, um eine gewisse (Bildungs-) Schicht ins Licht leisen Lächelns zu stellen, gar nicht bösartig, doch voller Ironie. Für mich das Glanzstück des Bändchens: Im Dichtergarten von Cadenabbia. Das endet fast wie die oben angesprochene Novelle Dämmerschoppen. Nur übernimmt die Rolle der walkürehaften Wagnersängerin Brausewetter nun die Professorin Lermen, die es wirklich gibt. Und auch die anderen Figuren dieses launig erzählten Tages unter Dichtern und Denkern sind der Realität entlehnt, nicht mehr und nicht weniger. Alissa Walser etwa, der die Blicke der Männer ins blaudurchsichtige Wasser des Pools folgen, oder die Herren Doktoren Kleinschmidt und Spinnen, der Psalmensänger Arnold Stadler und Elisabeth Borchers, die Dichterin. Sie alle und letztendlich auch „ein älterer, grauhaariger, dickbauchiger Romancier“, der die skurrile Gesellschaft in der Villa La Collina, Konrad Adenauers einstigem Feriendomizil am Comer See und seit 1995 kulturpolitische Begegnungsstätte für Künstler und Kritiker unter Federführung der Konrad-Adenauer-Stiftung, beobachtet, stehen freilich nur mit einem Bein im Tatsächlichen. Denn andererseits nehmen sie teil an einer Feerie, einem Sommernachtstraum, dem Thomas Hürlimann am Schluss noch beimischt, worauf man bei ihm nicht nur in diesem Bändchen stoßen kann: Katzen und die Schwerelosigkeit der die Realien vermischenden Fantasie.
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Dietmar Jacobsen
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