Doch wehe, wenn sein „Y“ Herrn Meier ausbüxt. Mal auf zwei Beinen, mal auf einem von Dach zu Dach springt. Über rauchende Schornsteine grätscht und sich nicht mehr um seinen „Bodentyrannen“ schert. Der sich dann mit einem kümmerlichen „I“ im Namen begnügen muss, während der entflohene Buchstabe zur Wünschelrute wird, die lockt ins Unbekannt- Patricia Görg, Jahrgang 1960, porträtiert in ihrem neuen Buch – sie hat es „Jahreslauf“ genannt, nicht Roman oder Erzählung oder Traktat, obwohl es von allen etwas hat, teilweise sogar derart bildergesättigt und kurzzeilig daherkommt, dass man es glatt für ein lyrisches Gebilde halten könnte – einen Mann der Mitte. Ihr Protagonist trägt einen durchschnittlichem Namen, verfügt über eine durchschnittliche Biografie, hat durchschnittliche Interessen und Neigungen. Er ist nicht arm, nicht superreich, nicht grenzenlos glücklich. Witwer, Misanthrop und Steuerhinterzieher, weiß Meyer, wo die Schnäppchen locken, wie ein Preisnachlass auszuhandeln ist und dass man sich die Zähne am besten jenseits der östlichen Landesgrenze richten lässt, auch wenn man dort die Sprache nicht versteht. Zwölfmal nimmt uns die Autorin mit ins Leben dieses farblosen Typs. Von Januar bis Dezember, eben einen „Jahreslauf“ lang. Dabei präsentiert sie immer nur einen kurzen Ausschnitt aus dem jeweiligen Monat, nie das ganze Programm. Die Splitter eines Tages, eines Abends, einer unruhigen Nacht aber reichen schon. Mehr braucht es nicht – es würde eh sich alles wiederholen. Denn Meyer ist ein Mensch, der immer in der rechten Spur fährt, die gestreuten Wege nicht verlässt, vor roten Ampeln zuverlässig stehenbleibt und Socken nur im Fünferpack erwirbt. Eigentlich eine armselige und bedauernswerte Gestalt, durch ihr gehäuftes Auftreten in unseren Breiten aber durchaus relevant für die vielfältigsten Interessengruppen zwischen Kirche und Kommerz. Alles Meyer oder was? Nein, so weit treibt es die Autorin nicht. Im Gegenteil. Ihr Buch spendet, Kapitel für Kapitel, auch immer Trost. Nicht den, welchen der Pfarrer Schmiege scheinheilig verspricht, wenn er wieder einmal in Meyers Fernsehapparat auftaucht, sondern jenen einer Ewigkeit jenseits allen menschlichen Raffens. Natur nämlich dringt ein in Meyers Schnäppchenparadies und die ist vielgestaltig und an Wundern reich. Vögel und Fische, Insekten und Pflanzen, das Radarsystem der Fledermäuse und das schwerelose Dasein der Mauersegler, die nur die Luft zu brauchen scheinen, keinen festen Grund – all das summiert sich unter der Hand zu einer Art Antigeizprogramm. Erfährt fast so ausführliche Beschreibung wie die Jagd nach dem jeweils aktuellen Sonderposten und wird – das ist die heimliche Botschaft von Görgs poetischem Buch – zum Glück auch dann noch existieren, wenn der finale Ausverkauf längst stattgefunden hat. Menschen wie Meyer freilich tangiert das vorerst nur wenig. Sie machen Ende Dezember so weiter, wie sie Anfang Januar begonnen haben. Zwangscharaktere, die nicht in der Lage sind, etwas Neues ins Auge zu fassen, den Blick zu heben von den gesenkten Preisen, frei aufzuatmen und anderen zu vertrauen. Ihre Ausbrüche – leider nur geträumt. Ihre Utopie – nicht mehr als ein banaler Lottogewinn. Ihre weiteren Aussichten – reden wir nicht darüber! Ihr Einfluss auf die Welt, die uns erwartet – hoffentlich abnehmend.
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Dietmar Jacobsen
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