|
|
Sascha Reh
Gibraltar
Die ratlosen Berater
In seinem zweiten Roman Gibraltar zieht Sascha Reh alle Register, um unserer kriselnden Gegenwart den Spiegel vorzuhalten
Kritik |
|
|
|
Sascha Reh
Gibraltar
Roman
Frankfurt/ Main: Schöffling & Co. 2013
461 Seiten, 22,95 Euro
|
So viele ernsthafte Auseinandersetzungen mit der die Welt seit einem Jahrfünft beutelnden Banken- und Finanzkrise gibt es gar nicht in der deutschen Gegenwartsliteratur. Wenn ich es richtig sehe, war Bodo Kirchhoff der Erste, der sich des Desasters annahm. Von dessen Roman Erinnerungen an meinen Porsche (Hoffmann und Campe 2009) spricht allerdings inzwischen niemand mehr – und das zurecht. Mit viel Witz versuchte ein Jahr später Kristof Magnusson in Das war ich nicht (Kunstmann 2010) die Nöte eines jungen Bankers zu literarisieren. Um den auf die richtige Fallhöhe zu bringen, ließ er ihn freilich lieber die Millionen einer Chicagoer Investmentbank durch Fehlspekulationen verbrennen, als seine Vita im Umkreis eines deutschen Finanzinstituts anzusiedeln. Und auch Jonas Lüschers aktuelle Novelle Frühling der Barbaren (C.H.Beck 2013) denkt über die möglichen Folgen eines Staatsbankrotts für den Einzelnen lieber am Beispiel Englands nach – obwohl Lüscher Schweizer ist und zur Zeit in Zürich promoviert. Bleiben fast als einzige Beispiele dafür, dass auch in Deutschland der Wind der Krise weht, die Romane von Enno Stahl ( Winkler, Werber, Verbrecher Verlag 2012), Nora Bossong ( Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Hanser 2012) und Rainald Goetz ( Johann Holtrop, Suhrkamp 2012).
Woran liegt das? Fehlen in unseren Breiten einfach die inspirierenden Typen für einen kernigen Roman aus dem Herzen der finanziellen Finsternis? Wird die Welt der Banken mit ihren Fonds und Derivaten als so unerotisch empfunden, dass man deren Beschreibung lieber Wirtschaftsprofessoren und Leitartiklern überlässt? Hat die Krise Deutschland nicht so fest im Griff gehabt, dass exemplarische Biografien entstanden wären, die in ihrer Häufung auch das Interesse literarischer Seismographen wecken könnten?
Überlassen wir die Antworten auf diese Fragen anderen. Denn in diesem Frühjahr ist mit Sascha Rehs Gibraltar ein Roman erschienen, auf dessen Seiten es nicht nur richtig krass kriselt, sondern mit dem auch ein junger Autor den endgültigen Beweis antritt, dass mit ihm in Zukunft auf alle Fälle zu rechnen sein wird, wenn es um die deutsche Gegenwartsliteratur geht. Reh, 1974 in Duisburg geboren und heute in Berlin lebend, debütierte vor drei Jahren mit Falscher Frühling (Schöffling & Co. 2010), einem geschickt komponierten Mix aus Familien‑, Künstler‑, Beziehungs- und Gesellschaftsroman, den die Kritik durchaus wohlwollend aufnahm. Alle diese Aspekte finden sich auch in Gibraltar wieder. Vor allem aber geht es in Rehs aktuellem Buch um den Zusammenbruch eines altehrwürdigen Unternehmens, des Berliner Bankhauses Alberts.
Das wird in seinen Grundfesten erschüttert, als der Investmentbanker Bernhard Milbrandt sich mit griechischen Staatsanleihen verzockt und daraufhin die Flucht ergreift. Auf eine Offshore-Bank in Gibraltar hat er nämlich ein paar von den Milliönchen überwiesen, die er seinem Chef und Gönner Johann Alberts, der das ehemals jüdische Berliner Bankhaus nach dem letzten Krieg groß gemacht hat, plötzlich schuldet. Aber es ist der Wurm drin in seinem Plan von Anfang an. Verfolgt von Alberts' Sohn Thomas und Milbrandt- Tochter Valerie, schafft er es zwar bis in das dubiose Geldinstitut an der Südspitze Spaniens, doch an die finanziellen Mittel für ein neues Leben kommt er letzten Endes nicht heran.
Milbrandt ist nicht der Einzige, auf dessen Schicksal sich Rehs Roman einlässt. Immer wieder raffiniert die Perspektive wechselnd, erzählt er in 6 Teilen sowie zwei fiktiven Zeitungsnotizen vom Scheitern familiär wie freundschaftlich miteinander verbundener Menschen. Schlägt sich Alberts' Sohn Thomas als eloquenter Telefonberater durch, immer unterwegs von Stadt zu Stadt, Land zu Land, Hotel zu Hotel, ohne sich dabei wirklich selbst entfliehen zu können, leidet Milbrandts 23-jährige Stieftochter Valerie an der Atmosphäre, in der sie aufgewachsen ist, und dem Tod ihres viermonatigen Bruders, an dem ihr Vater ihr seit zehn Jahren die Schuld gibt. Carmen wiederum, Valeries Mutter, tröstet sich über die lieblose Beziehung zu ihrem Gatten mit allerhand teurem Schnickschnack und gelegentlichen Blinddates hinweg, während die Bankiersgattin Helene Alberts nach dem Schlaganfall ihres Mannes ein durch allzu viele Lügen ruiniertes Leben Revue passieren lässt. Der Patron des Hauses schließlich, Johann Alberts – sein innerer Monolog aus dem Krankenbett heraus, in dem er im Koma liegt, stellt einen Höhepunkt des Romans dar –, denkt in seinen letzten Stunden sowohl an die Versäumnisse in der Vergangenheit des Instituts, dessen Leitung er einst von seinem Vater übernahm, wie auch an die Versuchungen der modernen Finanzwelt, die dem Unternehmen letzten Endes das Genick gebrochen haben.
Sechs Menschen - sechs Leben, die irgendwann begannen, schief zu laufen, und nun, verstärkt durch den Katalysator des Bankrotts des stolzen Familienunternehmens, von denen, die sie führen, gnadenlos bilanziert werden. Dabei ist das Fatale, dass die meisten derer, die hier dringend Rat gebrauchen könnten, selbst als Berater unterwegs sind, Sicherheit vortäuschen, wo ihre eigene Existenz längst ins Wanken geraten ist. Ganz offensichtlich hat Sascha Reh mit diesem Motiv der ratlosen Berater ins Herz unserer Gegenwart getroffen, blindem politischen Aktionismus, dem Wachstumsfetisch und dem Glauben daran, dass dem System nur in seinen eigenen Grenzen und mit den Mitteln, die es zur Verfügung hat, zu helfen sei, eine Familiengeschichte zuerfunden, die diese Überzeugungen nach und nach ad absurdum führt.
Dass ihm bei dieser Demonstration auch ab und an im Eifer des Gefechts ein Charakter zu eindimensional, ein Fingerzeig zu lehrerhaft, eine Handlungsvolte gar zu spektakulär geraten ist, war wohl nicht zu vermeiden. Alles in allem freilich schreit das Buch geradezu nach seiner Verfilmung – am besten durch einen Regisseur wie Oskar Röhler, der sich mit der Darstellung von Familiendesastern auskennt.
|
|
|
|
|