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Serhij Zhadan
Die Erfindung des Jazz im Donbass
„Wir wollten Piloten werden“
In Serhij Zhadans Roman Die Erfindung des Jazz im Donbass geht es um mehr als eine Tankstelle in der ostukrainischen Steppe
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Serhij Zhadan
Die Erfindung des Jazz im Donbass
Roman
Aus dem Ukrainischen von
Juri Durkot und Sabine Stöhr
Berlin: Suhrkamp Verlag 2012
394 Seiten, 21,95 Euro
ISBN 978-3-518-42335-6
Weitere Kritik zu Serhij Zhadan:
Hymne der demokratischen Jugend
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Hermann heißt der Held in Serhij Zhadans neuem Roman Die Erfindung des Jazz im Donbass. Und Hermann – oder Harry, wie ihn seine Freunde, ein bunter Trupp von merkwürdigen Zeitgenossen, nennen – hat ein Problem mit seinem Bruder Juri. Der ist nämlich klammheimlich Richtung Westeuropa verschwunden und hat sein „Business“, eine Tankstelle in den Weiten der Ostukraine, zusammen mit zwei Angestellten sowie der Buchhalterin Olga einfach zurückgelassen. Der Maismafia, die alles in der Gegend an sich rafft, ist das nur recht. Bis Hermann aus der Großstadt anrückt und die Schlacht zu schlagen beginnt, die sein Bruder offensichtlich von Vornherein verloren gab.
Serhij Zhadan (Jahrgang 1974), neben Juri Andruchowytsch wohl die bekannteste Stimme der gegenwärtigen ukrainischen Literatur, legt mit Die Erfindung des Jazz im Donbass sein bisher umfangreichstes Werk vor. Wer sich von Romanen wie Anarchy in the UKR (Suhrkamp 2007) oder Hymne der demokratischen Jugend (Suhrkamp 2009) gut und fantasievoll unterhalten fühlte, wird auch Die Erfindung des Jazz im Donbass mögen. Denn obwohl von dem, was der deutsche Titel verspricht, nur eine kurze, in den Text eingelegte Binnenerzählung Kunde gibt, bietet das Buch alles auf, was man von einem von der Lyrik her kommenden und sich in der reichen Literaturtradition von Gogol über Tschechow und Bulgakow bis hin zu Wenedikt Jerofejew nahezu schwerelos bewegenden Autor erhoffen darf. Apropos: Im ukrainischen Original heißt der Roman schlicht „Woroschilowgrad“ nach der zu Ehren des sowjetischen Funktionärs Woroschilow bis 1992 so genannten Gebietshauptstadt in der Südostukraine, die man heute unter dem Namen Luhansk auf den Landkarten findet.
Erwartet man sich als Leser eine gut strukturierte, wohlgeordnete und sowohl chrono- wie handlungslogisch konventionelle Geschichte von einem Autor, dem die erzählerischen Pferde immerzu und in alle denkbaren Richtungen durchgehen, ist Enttäuschung freilich vorprogrammiert. Dann wird man nämlich einige Mühe haben, sich in einen Text hineinzufinden, der mehr Anarchie als Ordnung, mehr Surreales als Reales, mehr Bild- als Abbildhaftes, mehr Punk als Pragmatismus – ja vielleicht sogar ein bisschen zu viel von all dem Verrückt- Ungeordneten, Traumhaft-Symbolischen und Absurd-Überbordenden – enthält.
Serhij Zhadans Held Hermann jedenfalls denkt gar nicht daran, sich von den diensteifrigen Kreaturen des örtlichen Oligarchen Marlen Pastuschok die Butter vom Brot nehmen zu lassen. Und während er seine Tankstelle gegen Behördenwillkür wie die Übergriffe bezahlter Ganoven tapfer verteidigt, beginnt die alte Heimat, der er sich in Charkiw entfremdet hatte, ihm wieder ans Herz zu wachsen. So dass nicht zuletzt für ihn gilt, was die Buchhalterin Olga gegen Schluss des Romans in einem Brief zum Ausdruck bringt: „Wir müssen versuchen, diejenigen, die uns nahestehen, zu retten, dabei merken wir manchmal nicht, wie sich die Verhältnisse ändern und dass die uns nahestehenden Menschen schon begonnen haben, uns zu retten. Ich glaube, genau so soll es sein und dass unsere Nähe durch das bedingt ist, was wir gemeinsam durchmachen ...“
Die Erfindung des Jazz im Donbass ist ein Buch, dass sich auf die Seite der Tradition schlägt. Seine Hauptfigur, die in der Stadt drauf und dran war, ihr Herkommen zu vergessen und einer jener neuzeitlichen Konformisten zu werden, denen alles irgendwie passt, was ihnen gerade zustößt, findet auf einer wagemutigen und abenteuerlichen Fahrt zurück an die Orte frühen Glücks und zu den Menschen, die ihm damals nahestanden. Da macht es dann auch nichts aus, dass eine ganze Reihe von jenen Freunden schon das Zeitliche gesegnet hat. In einer der schönsten Episoden des Buches trifft man sich – ob tot oder lebendig – trotzdem wieder und schlägt noch einmal die alte (Fußball-) Schlacht gegen die verhassten „Gasler“, jene Fremden, die dem Boden der Heimat seine wertvollsten Stoffe entreißen.
Hier liegt auch der ganz reale Fluchtpunkt all der verrückt-komischen Geschichten dieses Romans. Denn es geht bei Serhij Zhadan um mehr als eine profitable Tankstelle irgendwo in der Ostukraine. Was wirklich auf dem Spiel steht, ist die Identität all der kleinen Leute, die hier aufgewachsen sind und die sich in der Hektik einer Gegenwart, wo die einen Halt in der östlichen Tradition suchen und die anderen mit aller Macht nach Europa drängen, nicht mehr auskennen. Dass sie in ihrer Verwirrung schließlich auf Dinge hereinfallen, die scheinbar modern und zeitgemäß sind, in Wahrheit aber das Land all seiner Eigentümlichkeiten und Traditionen berauben, wird der Autor nicht müde zu geißeln: „Diese ganze Saubande, die aus ihren Löchern kriecht, die jetzt ihren kleinen Aufstieg erlebt. Die Banker-Meute, Bullen, Businessmeny, junge Anwälte und aussichtsreiche Politiker, Analytiker, Eigentümer, fuck, Kapitalisten – warum benehmen sie sich alle so, als hätte man sie auf Ferien hierher geschickt?“
Die Erfindung des Jazz im Donbass mobilisiert gegen die Tendenz, einem tief in der Geschichte verwurzelten Land all seine über Jahrtausende gewachsenen Eigentümlichkeiten zu nehmen und es einer gleichmacherischen Moderne anzupassen, alles, was es nur aufzubieten vermag. Schmugglerbanden und Zigeunerfamilien, widerständische Bauern und durch die Nacht brausende Geisterzüge, Lyrik und Prosa, Pathos, Nonsens und nicht zuletzt das Herzblut eines Autors, der wie sein Held Hermann an der Heimat hängt und nicht bereit ist, deren Bestes für das vage Versprechen einer leuchtenden, aber vergangenheitslosen Zukunft herzugeben.
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