|
|
Michel Houellebecq
Unterwerfung
Die Mullahs in Paris
In Michel Houellebecqs neuem Roman Unterwerfung wird Frankreich über Nacht zu einem islamischen Staat
Kritik |
|
|
|
Michel Houellebecq
Unterwerfung
Roman
Aus dem Französischen von Norma Cassau und Bernd Wilczek
Köln: DuMont Buchverlag 2015
272 Seiten, 22,99 €
ISBN 978-3-8321-9795-7
Weitere Rezensionen von
Dietmar Jacobsen zu Michel Houellebecq:
Karte und Gebiet
|
Am Tag des brutalen Anschlags auf die Redaktion des Satire-Magazins „Charlie Hebdo“ in Paris kam auch der neue Roman von Michel Houellebecq, Soumission, in die französischen Buchhandlungen. Die deutsche Übersetzung mit dem Titel Unterwerfung folgte dem Original auf dem Fuße. Denn schließlich ist Houellebecq nicht irgendwer, sondern einer der wenigen europäischen Autoren, die über den Tag hinausdenken und Visionen entwickeln, die sich auf das weitere Schicksal Europas, ja der ganzen Welt beziehen. Kein Kleindenker also, sondern einer, der aufs Ganze geht. Auch wenn er damit verstört, Tabus bricht, politisch nie korrekt ist und auch sein Äußeres mittlerweile an Gestalten erinnert, wie sie nachts in den Mülltonnen hinter unseren Einkaufstempeln wühlen.
Solche freilich tauchen in Unterwerfung nicht auf. Stattdessen nimmt uns der Roman mit ins Leben eines Universitätsprofessors. François heißt der, hat eine vielbeachtete Dissertation über Joris-Karl Huysmans (1848–1907) geschrieben und damit einen Lehrstuhl für Literaturwissenschaft an der Universität Paris III ergattert. Das „ulkige System“, zu dessen Teil er damit geworden ist – Lehrverpflichtungen, die man an einem Wochentag abarbeiten kann, hinter Studentinnen herhechelnde Professoren, kleine und große Intrigen um Forschungsgelder und lukrative Positionen im Universitätsapparat –, lässt ihm genug Zeit, sich auch noch um das Drumherum zu bekümmern. Und da stehen in Frankreich – wir schreiben in Houellebecqs Roman das Jahr 2022 – gerade Präsidentschaftswahlen an, die keine der etablierten Parteien mehr für sich zu entscheiden vermag.
Allein die „Bruderschaft der Muslime“ mit ihrem Kandidaten Mohammed Ben Abbes profitiert von der Situation. Und nach ihrem Sieg, den sie dank geschickter Koalitionen gegen den starken Front National der Marine Le Pen erringt, verwandelt sie Frankreich Schritt für Schritt in eine islamische Republik. Frauen verschwinden unter Schleiern und hinter Wohnungstüren. Männer, so sie es sich leisten können, dürfen wieder polygam leben. Wer weiter an Schulen, Hochschulen und in Ministerien Karriere machen will, tut gut daran zu konvertieren. Das Bildungssystem wird den neuen Verhältnisssen angepasst und der französische Staat hält Ausschau nach neuen Bündnispartnern in der Welt, denn zum alten Europa will er nun nicht mehr so richtig passen.
Unterwerfung ist nicht das Skandalbuch, als das es vor seinem Erscheinen angepriesen wurde. Die Spaziergänger der PEGIDA werden mit ihm genauso wenig anfangen können wie rechtsnationale Parteien in ganz Europa. Denn Houellebecq beschreibt den zur Macht kommenden Islam keineswegs als Despotismus, auch wenn er dessen reaktionäre Seiten nicht übersieht. Stattdessen bekommt der Leser den Eindruck, mit dem eher gemäßigten Präsidenten Mohammed Ben Abbes sei eine Macht in den Elysee-Palast eingezogen, die einem zerrissenen Land am Rande des Bürgerkriegs durchaus eine friedliche Zukunft schenken könnte.
Und so sieht man denn auch François, den Literaturwissenschaftler und Huysmans-Fan, nachdem er sich für eine Weile aus der Hauptstadt zurückgezogen hatte in der Befürchtung, eine gewaltsame Konfrontation könnte bevorstehen, bald wieder in Paris. Erneut bietet man ihm eine Stelle an der Universität an, erwartet aber natürlich seinen Übertritt zum Islam. Die letzten Seiten des Romans malt sich dessen Protagonist im „Was-wäre-wenn“- Stil dieses mögliche neue Leben aus. Zu mehr als einer konjunktivischen Erwägung kommt es allerdings nicht.
Michel Houllebecqs Roman, der alles in allem nicht sein bester ist, was vielleicht auch an seiner Kürze liegt, in der vieles vereinfacht erscheint und damit von den unterschiedlichsten Positionen aus angreifbar wird, hat seine Stärken vor allem dort, wo er aus der genauen Beobachtung des Heute eine durchaus vorstellbare Zukunftsvision entwickelt. So konstatiert er den zunehmenden Antisemitismus in Frankreich, der in letzter Zeit zu einer verstärkten Auswanderung französischer Juden nach Israel geführt hat. Ihm entgeht keineswegs, dass die französischen Rechtsnationalen mit Marine Le Pen immer mehr Zuspruch in der Bevölkerung finden. Und scharfsinnig registriert er das Versagen der etablierten politischen Kräfte, die keine glaubwürdigen und akzeptablen Lösungen für die dräuenden Konflikte im Land mehr anzubieten haben.
Mit seiner Vorbildfigur Huysmans verbindet den Helden des Romans übrigens deren ausgeprägter Pessimismus und die Überzeugung, am Ende des 19. Jahrhunderts in einer äußerlich zwar glanzvollen Epoche zu leben, aber durch all den schönen Schein hindurch auch die Mittelmäßigkeit zu sehen, mit der ein Kontinent sich gerade selbst auf seinen Untergang zubewegte. In dieser Beziehung ist François ein typischer Houllebecq-Protagonist. Denn welche Namen sie auch immer trugen und in welchen Zeiträumen und an welchen Orten ihr Erfinder sie auch auftreten ließ – nahezu alle litten sie unter dem Gefühl, in einem Zeitalter der Auflösung zu leben, in dem haltgebende Werte Stück für Stück verschwinden und nichts Neues an deren Stelle tritt.
Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass in Unterwerfung die Veränderung der Gesellschaft nicht von innen heraus geschieht, sondern an die Stelle einer nicht mehr lebensfähigen libertären Gesellschaft ein gemäßigter, mit saudischen Petrodollars gesponserter Islam tritt. Eher wundert man sich schon darüber, wie schnell die maßgebenden Kräfte in Politik und Gesellschaft, Wirtschaft und Erziehungswesen auf den neuen Kurs umschwenken. Da wird geheuchelt und sich angebiedert was das Zeug hält. Und bald sieht jeder, der an seiner gesellschaftlichen und sozialen Stellung hängt, im Neuen nur noch das, was Vorteile bringt, während man die dunklen Seiten der frisch erworbenen Weltsicht lieber unkommentiert lässt.
Unterwerfung ist ein politisches Buch. Vielleicht hat es sein Autor ein bisschen schnell zu Papier gebracht, gedrängt wodurch auch immer. Aber es reagiert auf unsere Zeit und deren wichtigste Fragen wie kein zweites. Wie wird es weitergehen mit einem Europa, das sich vor dem Rest der Welt nicht auf Dauer abschirmen kann? Auf welche politischen Kräfte, die sich um das Vertrauen der Wähler bemühen, ist wirklich Verlass? Wie vermag man wieder zu stärken, was einmal die Grundlagen unserer Zivilisation bildete und jedem der hier Lebenden ein Wertebewusstsein vermittelte? Und in welchen Haltungen muss man hart bleiben, wo Kompromisse machen, wo gar den Schritt zurück tun, der aber den Frieden sichert?
|
|
|
|
|