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Alek Popov
Schneeweißchen und Partisanenrot

Auch du, Lenin?

Alek Popovs Roman Schneeweißchen und Partisanenrot persifliert die sozialistische Heldenliteratur

  Kritik
  Alek Popov
Schneeweißchen und Partisanenrot
Roman
Residenz Verlag
328 Seiten, 22,90 Euro
ISBN 978-3701716203


Medved – „der Bär“ – nennt sich der Anführer eines Parti­sanen­häufchens, das in den bul­gari­schen Wäl­dern den Kampf gegen den Faschis­mus auf­genommen hat. Man schreibt das Jahr 1943 und Bulgarien befindet sich seit knapp zwei Jahren auf der Seite der Achsen­mächte. Allerdings ist der Sofioter Kurs umstritten und die Deutschen haben einige Mühe, ihre neuen Bündnis­partner auf Linie zu bringen. Truppen an die Ost­front zu entsenden, kommt für die Bulgaren beispiels­weise nicht in Frage. Gemeinsam gelingt es der Regierung in Sofia, dem Königshaus und der Hei­ligen Synode der bul­garisch-orthodoxen Kirche sogar, viele ein­heimische Juden vor der Depor­tation in die deutschen Ver­nicht­ungs­lager zu be­wahren. Am tragi­schen Schick­sal von deren Glaubens­genossen in den bul­garisch be­setzten Ge­bie­ten Maze­doniens und Griechen­lands hat das freilich nichts ändern können.

Dennoch trug das ständige Taktieren der Sofioter Verant­wort­lichen, haupt­sächlich geschuldet der pre­kären geo­grafi­schen Lage Bulgariens, nach dem Krieg mit dazu bei, dass das offizielle Geschichts­bild der 1947 gegründeten Volks­repu­blik stark geprägt wurde von den Geschichten des inneren Wider­stands gegen den Faschis­mus. Nicht zuletzt zur Legi­timation der neuen Herrscher ent­standen jene Parti­sanen­mythen, wie sie der 1966 in Sofia geborene Alek Popov wahrschein­lich zuhauf hören und lesen musste, als er in einem Staat groß wurde, der zu den wirt­schaft­lich rück­ständigs­ten und politisch repres­sivsten des War­schauer Paktes gehörte.

All diesen Legenden hat Popov nun in seinem dritten Roman Schnee­weißchen und Partisanen­rot die absurde Ge­schichte zweier Sofioter Gymnasias­tinnen zugesellt, die sich einer Partisanen­einheit anschlie­ßen, um ihren Teil zur Befreiung des Vater­landes vom Faschismus beizutragen. Das Buch, ganz im Stile jener Sagas verfasst, die es durch sein maßloses Über­treiben persi­fliert, verspricht, seinen Lesern die Geschichte einer jener Heldinnen aus dunklen Zeiten zu erzählen, die das sozia­listi­sche Bulgarien später dadurch ehrte, dass es Straßen nach ihnen benannte. Aller­dings hat man sich mit Jara Palaveeva just die Falsche als Patin für die kleine Gasse inmitten Sofias ausgesucht, wie sich am Ende heraus­stellt. Denn anders als ihre Zwillingsschwester Kara, die nach dem Krieg im bulga­rischen Geheim­dienst Karriere macht, hat Jara ihrer Heimat da längst den Rücken gekehrt und lebt als Ehefrau eines britischen Agenten mitten unter den „Klassen­feinden“ in London.

Doch zurück in die Vierziger. In der kleinen Widerstands­gruppe, die der in Moskau für den ille­galen Kampf ausgebildete Medved mit strenger Hand führt, sind die Pa­laveev-Zwil­linge, die sich als Parti­sanin­nen Monika und Gabriela nennen, zunächst schlicht­weg unwill­kommen. Hier braucht es Kämpfer wie den „Nagel“ – dessen nome de guerre sich ableitet vom „Sargnagel des Kapitalismus“ – oder den „Gräber“, wie man den „Toten­gräber“ des alten Systems der Einfach­heit halber ruft. Hinzu kommen die Polit­kommissarin Extra Nina – eine Doppel­agentin, wie sich später heraus­stellt –, der aber­gläubische Pope Tichon und ein gutes Dutzend weiterer Idealisten.

Rund um dieses Häuflein Aufrechter hat Popov eine Geschichte gesponnen, die so verrückt wie entlar­vend ist. Denn während man gegen die gut ausgerüs­teten Truppen, die die faschis­tischen Machthaber in Sofia zur Bekämpfung der Parti­sanen in die Wälder schicken, praktisch machtlos ist, hält man dennoch an den Ritualen fest, die der Überzeugung des im Mutterland des Kommunis­mus geschul­ten Komman­deurs nach dem Leben in der Illega­lität feste Konturen geben. Poli­tische Schu­lungen sind deshalb genauso wichtig wie mili­tärische Ertüch­tigungs­übungen, selbst wenn Letztere wegen ekla­tanter Aus­rüstungs­mängel das Kampf­niveau der Truppe kaum zu heben vermögen.

Umso eifriger wird studiert und diskutiert, wobei – ganz nach stalinis­tischem Vor­bild – der Selbst­kritik eine entscheidende Rolle zufällt. Nachdem mit der Ankunft der beiden Mädchen schließ­lich auch ero­tisch einiges in Bewe­gung gerät, muss Medved sich sogar mit Fragen ideolo­gisch aus­einander­setzen, auf die er von den Freunden in Moskau nur äußerst unzu­reichend vorbereitet wurde. Was tun zum Beispiel, wenn über Nacht die Höschen der naiven Zwil­lingen von der Wäscheleine verschwinden? Der „Bär“ bleibt cool und deklariert: „Die Frage der Masturbation steht in der UdSSR nicht auf der Tagesordnung. Die sowjetischen Menschen haben wichtigere Aufgaben zu lösen.“

Mit Schneeweißchen und Partisanenrot beweist der 2007 mit dem Elias-Canetti-Preis ausge­zeich­nete bulga­rische Bestseller­autor erneut sein Talent für absurde Ge­schichten. Dass hinter aller Satire aber auch auf eine Utopie Bezug genommen wird, deren Um­setzung in ge­sell­schaft­liche Praxis Millionen Opfer gekostet hat, vergisst Alek Popov keines­wegs. Der Spaß hört nämlich auf, wenn Medved gegen Ende des Romans den Zwillingen die Wahrheit über seine Zeit in der Sowjet­union ent­hüllt. Da ist dann nicht mehr die Rede von glück­lichen Stachanow-Arbeitern und Moskauer Eis ohne Ende für jeder­mann, son­dern vom Grauen der Lager und einem Paradies, durch das Ströme von Blut fließen.

Weitere Rezenion von Dietmar Jacobsen: Alek Popov: Für Fortgeschrittene

Dietmar Jacobsen   12.06.2014   

 

 
Dietmar Jacobsen